Die Tore der Welt
seinen Zehen weggezogen hatten, der zuvor dort hin gespült worden war. Solche
Phänomene hatten ihn schon immer fasziniert.
Falls er recht
hatte, hing das zentrale Pfeilerpaar inzwischen von der Brücke, anstatt sie zu
stützen — daher die Risse. Elfrics Eisenklammern hatten nicht geholfen;
tatsächlich hatten sie das Problem vielleicht sogar verschlimmert, indem sie
verhindert hatten, dass die Brücke sich wieder absenkte und in dem neuen Bett
stabilisierte.
Merthin vermutete,
dass das andere Pfeilerpaar — das Paar flussabwärts — noch immer festen Grund
hatte, und die Strömung verlor sicherlich beim Angriff auf das erste Paar viel
Kraft. Nur ein Pfeilerpaar war betroffen, und der Rest der Konstruktion schien
stark genug zu sein, um die gesamte Brücke zu halten, solange sie keiner
außergewöhnlichen Belastung ausgesetzt war.
Doch die Risse
sahen heute breiter aus als noch am Montag, und der Grund dafür war nicht
schwer zu erraten: Hunderte von Menschen befanden sich auf der Brücke, eine
weit größere Last, als sie normalerweise trug, und da war noch ein schwer
beladener Wollkarren mit zwanzig oder dreißig Leuten darauf …
Merthin bekam es
mit der Angst. Er glaubte nicht, dass die Brücke dieser Belastung noch lange
standhalten würde.
Verschwommen war er
sich bewusst, dass Caris irgendetwas sagte, doch es drang nicht in seine
Gedanken, bis sie die Stimme hob. »Du hörst mir nicht zu!«
»Es wird einen
schrecklichen Unfall geben«, sagte Merthin.
»Was meinst du damit?«
»Wir müssen die
Leute von der Brücke holen.« »Bist du närrisch?
Sie quälen die
verrückte Neil. Selbst Graf Roland kann sie nicht vertreiben. Sie werden nicht
auf dich hören.« »Die Brücke könnte einstürzen … «
»Oh, schau!«, sagte
Caris und deutete nach vorne. »Auf der Straße vom Wald zum anderen Ende der
Brücke — siehst du da jemanden rennen?«
Merthin fragte
sich, was das mit seinen Befürchtungen zu tun hatte, schaute jedoch in die
angegebene Richtung. Er sah tatsächlich eine junge Frau, die mit flatterndem
Haar dahinrannte.
Caris sagte: »Das
sieht wie Gwenda aus.« Ihr dicht auf den Fersen war ein Mann in gelbem Kittel.
Gwenda war so
erschöpft wie nie zuvor.
Sie wusste, dass
man eine lange Strecke am schnellsten überbrückte, indem man zwanzig Schritte
lief, zwanzig Schritte ging, zwanzig Schritte lief, zwanzig Schritte ging und
so weiter und so fort.
Sie hatte vor einem
halben Tag damit begonnen, als sie Sim Chapman eine Meile hinter sich entdeckt
hatte. Eine Zeit lang hatte sie ihn aus den Augen verloren, doch als die Straße
ihr wieder einen weiten Blick zurück gestattete, sah sie, dass auch Sim
abwechselnd ging und lief. Meile um Meile, Stunde um Stunde schloss er langsam
zu ihr auf. Gegen Vormittag war Gwenda bewusst geworden, dass er sie noch vor
Kingsbridge einholen würde, falls sie sich nicht irgendetwas einfallen ließ.
Verzweifelt war sie
in den Wald eingebogen, durfte sich aber nicht weit von der Straße entfernen,
wollte sie sich nicht verirren.
Doch bald schon
hörte sie schnelle Schritte und schweres Atmen hinter sich, und als sie durchs
Gestrüpp hindurchspähte, sah sie Sim auf der Straße vorbeilaufen. Gwenda
wusste, er würde erkennen, was sie getan hatte, sobald er wieder ein freies
Sichtfeld besaß. Und genauso war es: Wenig später sah sie ihn zurückkommen.
Gwenda war weiter
durch den Wald gelaufen und alle paar Minuten stehen geblieben, um zu lauschen.
Lange Zeit war es ihr gelungen, Sim aus dem Weg zu gehen; außerdem war es ein
Vorteil für sie, dass ihr Verfolger den Wald zu beiden Seiten der Straße absuchen
musste, um sicherzugehen, dass sie sich nicht versteckt hatte.
Doch Gwenda kam
auch nur langsam voran, denn sie musste sich durchs Unterholz kämpfen und
gleichzeitig darauf achten, sich nicht allzu weit von der Straße zu entfernen.
Als sie in der
Ferne den Lärm einer Menschenmenge hörte, wusste sie, dass sie nicht mehr weit
von der Stadt entfernt sein konnte. Sie schöpfte neue Hoffnung, dass ihr
vielleicht doch noch die Flucht gelingen könnte. Gwenda bahnte sich einen Weg
zur Straße und schaute vorsichtig hinter einem Strauch hervor. Der Weg war in
beide Richtungen frei — und eine Viertelmeile nördlich konnte sie den Turm der
Kathedrale sehen. Sie war fast da.
Gwenda hörte ein
vertrautes Bellen, und ihr Hund Skip sprang aus den Büschen neben der Straße.
Sie bückte sich, um
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