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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sie konnte das nicht. Elisabeth drehte sich weg, und er zog seine Hand zurück.
    Am nächsten Morgen war er fort.
     
    Elisabeth war todunglücklich. Er hatte sich aus dem ehelichen Bett geschlichen, während sie noch schlief, war ohne Abschied, ohne Versöhnung in den Krieg gezogen. Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Als seine Frau war sie ihm zu Gehorsam verpflichtet, sollte ihn lieben und ehren. Was aber, wenn er, wie sie fand, im Widerspruch zu Gottes Willen handelte? Wenn sie sein Tun nicht gutheißen konnte? Sie musste ihm doch ins Gewissen reden! Und ach, sie liebte ihn doch! Sie machte sich die schlimmsten Vorwürfe. Was, wenn ihm etwas zustieß? Wenn er im Kampf fiel? Und sie hatte ihm nicht mehr die Hand reichen, hatte nicht verzeihen können. Auch das war Sünde.
    Elisabeth rang und haderte mit sich, betete und suchte ihren Frieden wiederzufinden. Am Abend nach Ludwigs Abritt legte sie schließlich alle kostbaren und bequemen Kleider ab und schlüpfte wieder in das Büßergewand, das sie zu Hermanns Benediktion getragen hatte. Täglich verbrachte sie Stunden im Gebet, mehrmals in der Woche lief sie barfüßig hinunter in die Stadt, um dem Augustinerkloster Paramente, Kerzen und Messwein zu bringen. Und sie überschüttete die Armen mit Geschenken. Sie hatte beschlossen, noch mehr Gutes zu tun, noch mehr zu geben, um den Allmächtigen zu versöhnen. »Herr, verschone Ludwig vor deinem Zorn«, flehte sie jedes Mal, wenn sie ein Almosen vergab. Und eines Nachts fanden Guda und Gislind ihre Herrin vor dem Bett kniend. Sie hatte die Augen himmelwärts gerichtet und zitterte am ganzen Körper. In der Hand hielt sie einen kurzen Stock, auf den vorne ein Igelfell genagelt war. Über ihren Rücken lief aus unzähligen Wunden und Kratzern rotes Blut. Aber in ihren Augen stand eine Seligkeit, die nicht von dieser Welt war. »O ihr Lieben«, flüsterte sie unter Schmerzen. »Wie gut ist es doch, sich für seine Sünden züchtigen zu dürfen, bevor Gott es tun muss. Es reinigt die Seele. Und ich weiß jetzt: Ich werde bald Gewissheit haben. Ich habe den Herrn gebeten, mir einen Weg aufzuzeigen.«
    »Welchen Weg?«, fragten die Zofen. »Und wohin?«
    Sie lächelte. »Ihr werdet schon sehen.«
     
    Ein paar Tage später bekam die junge Landgräfin außergewöhnlichen Besuch. Die Witwe des Gothaer Schultheißen, Hildegard Uhlbeckin, ließ eines Morgens um eine Unterredung in einer wichtigen Angelegenheit bitten. Elisabeth kannte sie, es war eine rechtschaffene Frau von wohl mehr als sechzig Jahren, über die Maßen fromm und als Wohltäterin in der ganzen Stadt geachtet.
    Als die Besucherin den Raum betrat, erschrak Elisabeth. Sie hatte die Schultheißin als große, kräftige Frau von beträchtlichem Leibesumfang in Erinnerung, lebhaft und zupackend. Jetzt stand da jemand ganz anderes vor ihr. Eine gebückte Alte, ausgemergelt und dürr, mit eingefallenen Wangen und grauer Gesichtsfarbe. Es war offensichtlich, dass Hildegard auf den Tod krank war.
    »Dank Euch, Herrin, dass Ihr mich empfangt«, begann die Uhlbeckin. Die Luft zum Sprechen war ihr knapp.
    Elisabeth ließ einen Stuhl kommen, auf den sich die Schultheißin dankbar niederließ. »Was ist Euer Begehr, gute Frau?«, erkundigte sich die Landgräfin. »Der Weg herauf auf den Grimmenstein muss Euch schwergefallen sein.«
    Die Alte nickte und lockerte den pelzverbrämten Kragen ihres dunklen Seidenumhangs. »Wohl wahr, Euer Liebden, wohl wahr. Wie Ihr bemerkt habt, bin ich mit Krankheit geschlagen, der Wille des Herrn geschehe. Meine Tage auf dieser Welt sind gezählt.«
    »Das weiß Gott allein, Schultheißin«, entgegnete Elisabeth sanft.
    Als Antwort teilte Frau Hildegard ihren Mantel und spannte mit einer Hand ihr Gewand über dem Unterleib. Unter dem Stoff wölbte sich sichtbar eine riesige Geschwulst, fast so groß wie eine Schwangerschaft. Die junge Landgräfin schloss die Augen und nickte. Hier kam jede Hilfe zu spät. »Sprecht«, sagte sie schließlich.
    »Herrin, ich bin eine wohlhabende Frau. Mein Mann ist vor mir gegangen, wir haben keine Kinder. Er war ein gottesfürchtiger, frommer Mensch, so wie ich, und hat zeitlebens hart gearbeitet und geschafft. Noch vor seinem Tod haben wir gemeinsam beschlossen, unser Hab und Gut einer guten Sache zuzuführen, sobald auch ich einmal die Augen schließe. Das wird nun so sein, ich spüre, dass mir nicht mehr viel Zeit bleibt. Wir haben damals beschlossen, all unsere fahrende Habe der Kirche zu vermachen, um

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