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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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grenzenlos. Die Verschwörer hatten ihr Ziel nicht erreicht, und mein Heinrich war ein anständiger Mensch. Er hatte nicht mit seinem Bruder gesprochen. Oder hatte er es doch versucht und Ludwig hatte nur nicht auf ihn gehört? Nein, ich wollte einfach glauben, dass Heinrich sich richtig entschieden hatte. Als ich ihm nach der Adelsversammlung im Hof begegnete, drückte ich kurz und heimlich seine Hand. Er erwiderte den Druck und lächelte. War da Erleichterung in seinem Blick?
    Doch der Splitter des Zweifels steckte immer noch in meinem Herzen.

Primus
    W ir hungern. Ich meine, nicht nur die Mutter, die Geschwister und ich, das war ja schon immer so. Nein, auch die meisten anderen im Land haben kaum was zu beißen. Es war ja schon im letzten Jahr schlecht mit der Ernte, weil das Getreide eine Krankheit gekriegt hat und den Bauern unter den Händen weggefault ist. Im Herbst ist dann überall im Land das Vieh krepiert, am Schleimfieber. Und heuer hatten die Bauern kaum was zum Säen, weil sie vor lauter Bauchgrimmen noch vor dem Frühling das Saatgut aufgegessen haben. Na, und ohne Saatgut wächst nun mal nichts, und drum war heuer die Ernte wieder miserabel. Mit meinem Lohn und Michels Klauerei haben wir bis jetzt grad so leben können. Und jetzt ist es Gott sei Dank so, dass wir auf der Armenliste stehen und jede Woche Essen kriegen. Es ist zwar zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben, sagt die Mutter, aber irgendwie geht’s schon. Erst war sie furchtbar traurig, weil wir jetzt Bettler sind, aber ohne das Almosen wären wir längst verhungert, so wie die Schwester von Hilfried, dem lahmen Besenbinder, oder die Oma von Michels Kumpel Ernbold, die letzte Woche vor Schwäche einfach nicht mehr aufgewacht sind. Die Armengräber werden immer mehr auf dem Kirchhof. Der Pfarrer sagt, das ist Gottes Strafe für unsere Sünden, und wir sollen Buße tun und demütig sein. Kann ja sein, dass Gott wütend ist auf die Sünder, das versteh ich. Man fragt sich allerdings, warum er dann so viele unschuldige kleine Kinder verhungern lässt und nicht jemanden wie den fetten Krämer am Sonnabendmarkt, der ständig alle bescheißt.
    Ich hab wieder Arbeit gefunden, aber keine, mit der ich so viel verdiene wie auf dem Bau. Draußen vor der Stadt ist die Kalkbrennerei, wo der Kalk für den Mörtel gemacht wird und die Kalkmilch zum Weißen von Wänden. Ich muss das Kalkpulver aus den Säcken in die Löschwannen schütten und die fertige Kalkfarbe in Bottiche schöpfen. Das bringt zwei Pfennige die Woche und ist eine elende Plackerei. Nach einer Woche habe ich aufgebrannte Hände, obwohl ich mit Handschuhen arbeite. Meine Finger sind voller Bläschen, und die Haut reißt auf. Es tut schweineweh, aber wir brauchen das Geld einfach. Nach vier Wochen sagt die Mutter, es hat doch keinen Sinn. Also lass ich es sein, damit die Hände wieder heilen. Dafür hat die Ida eine kleine Beschäftigung gefunden, als Gänsemagd für die Klostergänse. Jeden Tag geht sie mit ihrem Stöckchen los und treibt zwölf fette Gänse auf die Wiese am Fluss. Am Anfang ist der Ganter immer auf sie losgegangen, hat sie angefaucht und in die Beine gezwickt. Ganter sind nämlich bös und hinterfotzig. Dem haben wir’s dann aber gegeben, ich hab der Ida gezeigt, wie’s geht: Man muss das Vieh blitzschnell am Kragen packen und ein paarmal um sich selber im Kreis herumwirbeln, bis es schwindlig ist. Das merkt es sich sein Leben lang. Die Ida kriegt jedenfalls von den Nonnen für das Gänsehüten jeden Tag ein großes Schmalzbrot und ein Stück Hutzelobst, und so wird wenigstens sie immer satt.
    Ich hab mich wieder aufs Klauen verlegt, obwohl ich inzwischen ganz schön aus der Übung bin. Na, das wird schon wieder. Der Michel ist viel besser als ich, kein Wunder, der macht ja auch seit ewigen Zeiten nichts anderes. Ohne ihn würde es uns ganz schön schlecht gehen, allen miteinander. Er haut immer noch regelmäßig ab, und keiner weiß, wo er ist oder was er macht. Ich glaube, er treibt sich mit Ortwin herum, steht für ihn Schmiere oder so. Und eines Abends, als ich wieder auf die merkwürdigen Betbrüder aufpasse, sehe ich ihn, wie er mit Ortwin ins Haus geht und an der Messe teilnimmt. Gefällt mir ganz und gar nicht, die Sache. Aber natürlich sag ich der Mutter von alledem nichts, weil sie sofort Angst bekäme. Und sie hätte recht. Ich hab auch Angst, vor allem, dass sie Michel mit dem Ortwin erwischen. Ich hab’s ihm auch schon ein paarmal gesagt, aber er ist

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