Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
Vom Netzwerk:
Eurem Vater und Großvater.«
    »Lässt du mich auf deinem Schimmel reiten?«, krähte Hermann vorwitzig.
    »Natürlich«, lachte Raimund. »Morgen, wenn er sich ausgeruht hat. Dann bringt dich Jungfer Gisa zum Stall, und du darfst aufsitzen. Aber nur, wenn ich dabei bin. Hasan ist nämlich ein ganz wilder Kerl.«
    Ich stand daneben und konnte kein Wort mehr sagen. Raimund zwinkerte mir noch fröhlich zu, und dann war der Augenblick vorbei; mein Ritter begrüßte schon wieder andere.
     
    Wie im Traum ging ich mit Hermann in die Frauenkemenate zurück. Ich war völlig durcheinander, begriff mich selber nicht mehr. Er hatte mich nur angesehen, und ich war völlig überwältigt! Er hatte nur vor mir gestanden, und das hatte genügt, in mir wiederzuerwecken, was ich längst verschüttet glaubte. Himmel, ich gehörte doch schon lange zu einem anderen Mann, wenn es auch nur heimlich war. Ich liebte doch Heinrich Raspe, und er liebte mich. Ich war doch inzwischen erwachsen. Meine Kinderschwärmerei war längst Vergangenheit. Wie konnte es sein, dass ein einziger Blick aus Raimunds Augen, ein paar belanglose Sätze aus seinem Mund mich so verwirren konnten?
    Von nun an traf ich ihn beinahe jeden Tag. Wir liefen uns im Burghof über den Weg, oder vor dem Weinkeller, oder auf der Treppe zum großen Saal. Wir begegneten uns zufällig am Brunnen, beim Marstall, am Tor, auf dem Weg zum Hospital. Nicht, dass ich seine Gegenwart suchte, im Gegenteil, ich tat alles, um mich von ihm fernzuhalten. Es brachte mich zu sehr durcheinander. Aber es war wie verhext, kein Tag verging, ohne dass ich ihn traf. Und außerdem hatte der kleine Hermann ihn ins Herz geschlossen und bestand immer öfter darauf, auf Raimunds Schimmel zu sitzen und herumgeführt zu werden. Ich konnte doch nichts dafür, dass wir uns immer wieder sahen. Und jedes Mal wurden meine alten Gefühle wieder ein Stück lebendiger. Er war so ganz anders als Heinrich Raspe. Im Vergleich zu ihm war Heinrich ein Geck, ein Schmeichler, ein verwöhnter Leichtfuß. Raimund hingegen war ganz Krieger, hart, unerschütterlich, erfahren und zuverlässig. Einer, dem man sein Leben anvertrauen konnte. Wie viel Vertrauen dagegen Heinrich verdiente, darüber musste ich seit Nürnberg und seit dem Gespräch der Räte mit Ludwig immer öfter nachdenken.
    Ich fühlte mich hin- und hergerissen, wurde fahrig und zerstreut. Bei der Arbeit im Hospital vergaß ich oft Sachen oder machte Dinge falsch. Einmal wickelte ich einer Frau den Verband ums linke Bein, obwohl sie doch rechts ein Blutgeschwür hatte. Elisabeth sah mich manchmal merkwürdig an, aber sie war so beschäftigt mit ihrer neuen Aufgabe, dass sie nicht weiter über mich nachdachte. Guda kämpfte so mit ihrem Ekel und Widerwillen, dass sie mich kaum wahrnahm, und Isentrud gab sich mit der Erklärung zufrieden, ich habe in letzter Zeit oft arge Kopfschmerzen.
    Der Einzige, der überhaupt nichts merkte, war Heinrich Raspe. Nach wie vor traf ich ihn zu den verabredeten Zeiten an »unseren« Stellen, nach wie vor war ich seine Geliebte, sein Friedel. Ich gab mich ihm hin, aber es war nicht mehr wie vorher. Ich konnte mir nicht helfen – ich begehrte ihn einfach nicht mehr. Wenn er mich küsste, dann dachte ich an Raimund von Kaulberg. Wenn er mich berührte, ach, dann wünschte ich mir, es seien Raimunds Hände. Und wenn er mir beiwohnte, Gott verzeih mir, dann träumte ich, es sei Raimunds Körper, der sich mit meinem verschlang, den ich spürte und liebkoste. Ich konnte nicht anders. Meine alte Liebe war wieder erwacht.
     
    Ich war dankbar und erleichtert, als Ludwig beschloss, noch vor dem Winter auf Umritt zu gehen und seine adeligen Hintersassen im ganzen Land zu besuchen. Er hatte lange nicht mehr vor Ort Recht gesprochen, und außerdem war es eine Sache der Höflichkeit und gutes Herkommen, Ministerialen, Vögte, Grafen und Ritter regelmäßig auf ihren eigenen Burgen und Ansitzen aufzusuchen. Elisabeth überlegte erst, ob sie das Hospital sich selbst überlassen konnte, aber dann siegte der Wunsch, Ludwig nahe zu sein. Sie nahm eine tatkräftige Witwe aus der Stadt in ihren Dienst und zwei Mägde, die für die Alten und Kranken sorgen sollten, solange sie fort war. Als wir loszogen, blieb Heinrich Raspe auf der Wartburg zurück, ebenso Raimund von Kaulberg, und so hatte ich wenigstens ein bisschen Zeit zum Nachdenken und Durchatmen.
    Der Umritt begann bei herrlichem Herbstwetter. Obwohl wir Ende Oktober hatten, war es tagsüber

Weitere Kostenlose Bücher