Die Tore des Himmels
Nachmittag. Seit dem Mittagsläuten hatte Elisabeth wie auf Kohlen gesessen, hatte kaum etwas von den eigens für sie zubereiteten Speisen hinuntergebracht. Wenn sie sich nun beeilte, so dachte Elisabeth, so könnte sie vielleicht noch das Ende der Predigt mitverfolgen. Eilig schwangen wir vier uns also auf unsere Zelter und ritten hinunter nach Freyburg. Doch die Kirche war schon leer bis auf ein paar Nachzügler, und Konrad von Marburg nirgends zu finden.
Auch am Abend, als die Tore der Neuenburg längst geschlossen waren, war der Prediger noch nicht wiederaufgetaucht. Elisabeth bekam es mit der Angst zu tun, sie ließ Konrad überall suchen, doch ganz offensichtlich waren weder er noch sein Gehilfe auf die Burg zurückgekehrt. »Das ist alles meine Schuld«, jammerte Elisabeth und rang verzweifelt die Hände. »Ich hätte doch zur Predigt gehen müssen!«
Ludwig versuchte vergebens, sie zu beruhigen. Sie war wütend auf ihn. In dieser Nacht schlief sie allein bei uns im Frauenzimmer und tat kein Auge zu.
Am nächsten Morgen kam ein junger Kirchendiener aus der Stadt auf die Burg und erklärte, er habe eine Nachricht für die Landgräfin. Elisabeth empfing ihn gleich im Hof, wo er ihr mit knappen Worten erklärte: »Mich schickt der Prediger Konrad von Marburg. Ich soll Euch ausrichten, er werde wegen Eures Ungehorsams die Sorge für Euch niederlegen und morgen abreisen.« Er hielt die Hand auf. »Dem Boten einen Pfennig.«
Ich drückte dem Knaben ein Geldstück in die Hand, und dann musste ich auch schon Elisabeth hinterher, die mit wehenden Röcken zum Marstall rannte, Guda und Isentrud hinterdrein. Während die Stallknechte ganz aufgescheucht unsere Pferde sattelten, weinte Elisabeth, raufte sich die Haare und machte sich die bittersten Vorwürfe. Sie zurückzuhalten war unmöglich, also folgten wir ihr in halsbrecherischem Galopp bergab nach Freyburg. Wir vermuteten, dass Konrad als Gast im Pfarrhaus genächtigt hatte, und tatsächlich sahen wir schon von weitem den einäugigen Johannes, wie er den Esel belud. Elisabeth – gute Reiterin, die sie war – sprang vom Pferd, noch bevor es zum Stehen kam und lief ins Haus, während wir erst unsere Zelter anbanden, bevor wir ihr nach drinnen folgten. Die Haushälterin, ein hübsches junges Ding mit bedenklich gewölbtem Leib, wies uns mit Blicken den Weg nach oben.
Und dort fanden wir sie. Hingestreckt auf den Boden, mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht dem Boden zugewandt. Und über ihr, wie ein Fels, wie ein Richter, wie ein rächender Engel Konrad von Marburg. Sein Gesicht war versteinert; mit lodernden Augen sah er auf sie herab, die sich so vor ihm erniedrigte. Elisabeth, Prinzessin aus dem königlichen Haus der Arpaden, Landgräfin von Thüringen, zweitmächtigste Frau im Reich nach der Königin, lag im Staub vor einem besitzlosen, in Armut herumziehenden Priester. Ich traute meinen Augen nicht.
»Hure des Satans!«, donnerte Konrad, »wie kannst du es wagen, Gott zu missachten?«
Elisabeth schluchzte unter ihrem Schleier. Ihr Rücken hob und senkte sich wie im Krampf.
»Ich habe dir befohlen, der Predigt beizuwohnen, und du, verfluchte Ausgeburt der Erbsünde, hast dir angemaßt, eine andere Wahl zu treffen!«
Elisabeth schob sich wie ein Tier vorwärts und umfasste mit beiden Händen den rechten Fuß des Predigers. Mir wurde schlecht.
»Heilig wolltest du werden!« Konrad spie es fast aus. »Heilig in der Nachfolge deiner Vorfahren! Aber du bist nichts weiter als ein törichtes, widerspenstiges Weib. Ein Makel in der Linie deines Hauses. Ein Mückenschiss auf der Dornenkrone Christi! Hebe dich hinweg!«
»Vergebt mir«, schluchzte Elisabeth, »o Meister, vergebt mir!«
Ich war fassungslos. Warum wehrte sie sich nicht? Wie konnte sie sich von diesem widerlichen Menschen so behandeln lassen, wie Abschaum? Sie hatte doch kein Verbrechen begangen! Guda konnte es nicht länger mit ansehen und trat einen Schritt vor. »Es ist meine Schuld«, rief sie und lief dabei rot an. »Meine und Isentruds. Wir haben ihr Eure Botschaft nicht richtig ausgerichtet, Herr. Sie hat geglaubt, Eure Worte seien nur eine Einladung gewesen, nicht ein Befehl.«
»Ja, so ist es.« Auch Isentrud machte einen Schritt nach vorn. »Wir beide haben wohl einen Fehler gemacht, Magister Konrad. Unsere Herrin trifft keine Verantwortung.«
Elisabeth hob den Kopf. Wir wussten beide, dass Guda und Isentrud logen. Es wäre für die Landgräfin von Thüringen Ehre und Verpflichtung
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