Die Tore des Himmels
Wenn er erst das Siegel hatte, dann würde er uns das Leben zur Hölle machen. Nichts stand dann mehr zwischen ihm und der Krone Thüringens, außer … Ich mochte es nicht zu Ende denken. Ich sah Isentrud an und sie mich. Aber was hätten wir tun sollen? Elisabeths Widerstand war in dem Augenblick gebrochen, als Heinrich Ludwigs möglichen Tod erwähnt hatte. Der Gedanke, dass ihrem geliebten Mann etwas zustoßen könnte, hatte ihr jede Kraft geraubt. Sie ging mit hängenden Schultern zu ihrem Nachttischlein, nahm das Kästchen mit den Siegelutensilien und hielt es Heinrich hin. Ich sah die Machtgier in seinem Blick und den Triumph, als er es an sich nahm.
»Warum nicht gleich so, Schwägerin?«, lächelte er.
Primus
R om ist meine Glücksstadt! Bei Christi Arschbacken, niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich einmal Knecht eines Ritters werden würde! Ich habe einen Platz gefunden! Jeden Morgen, wenn ich aufwache, muss ich mich zwicken, damit ich’s glaube. Mein Herr, Raimund von Kaulberg, behandelt mich anständig, ganz im Gegensatz zu seinem verfluchten Gaul, für den ich ja eigentlich sorgen soll. Das Vieh schnappt bei jeder Gelegenheit nach mir, keilt aus und peitscht mir seinen Schweif ins Gesicht. So ein Schlachtross ist schlimmer als zehn Maulesel. Störrisch, bockig, launisch. »Aus dir mach ich noch Wurst«, zische ich ihm jeden Morgen zu.
Die kleine graubraune Stute, die ich von meinem Ritter bekommen habe – sie hat meinem Vorgänger gehört, bis zu seinem Tod am Fieber –, ist dagegen lammfromm. Ich kann ja eigentlich gar nicht reiten, aber meine Dicke, so nenn ich sie, hat eine Engelsgeduld mit mir, und wir finden uns inzwischen schön miteinander zurecht. Die anderen Pferdeknechte bringen mir bei, wie man Hufe auskratzt, das Fell striegelt, richtig zäumt und sattelt und alles mögliche andere.
Kaum kann ich mich einigermaßen im Sattel halten, kommt der Befehl zum Weiterziehen. Die Strecke ist höllisch, nicht weil sie so schwierig ist, sondern wegen der Hitze. Wenn man so wie ich die Thüringer Winter bisher in einem ungeheizten Schweinestall hat verbringen müssen, mag man’s ja wirklich gern warm, aber irgendwann reicht es sogar mir. Es ist so heiß, dass die Schwerter bald anfangen zu schmelzen. Unsere Kehlen sind ausgedörrt, und die Flüsse und Bäche, die auf unserem Weg liegen, führen kaum mehr Wasser. Immer noch bekommen jeden Tag welche von uns das Fieber, man erkennt sie an den ausgezehrten Gesichtern, am schwankenden Gang oder daran, dass sie ganz zusammengesunken auf ihren Pferden sitzen. Inzwischen kommen auch noch Bauchkrämpfe und schwere Durchfälle dazu. »Das wächst sich hoffentlich zu keiner Seuche aus«, sagt mein Ritter und runzelt vor Sorge die Stirn. Aber ich fürchte, doch. Immer mehr sterben. Die Toten begraben wir dann am Wegrand. Nicht einmal mehr in den Nächten, wenn wir lagern, wird es erträglich, wir hören die Kranken stöhnen und schwitzen uns noch im Schlaf die Seele aus dem Leib. Und trotzdem geht’s mir so gut wie nie. Ich trage jetzt einen Überwurf in den Farben des Landgrafen, muss nicht mehr zu Fuß gehen und kriege die Reste vom Essen meines Ritters. Wenn nur Mutter mich so sehen könnte! Sogar Ratz trabt mit stolz erhobenem Kopf herum, als wüsste er genau, dass er jetzt der Hund vom Diener eines vornehmen Mannes ist.
So kommen wir nach Benevent. »Die Stadt liegt zwischen den Flüssen Calore und Sabato«, erklärt mir mein Ritter. »Dort vorne, schau, da siehst du den großen Prachtbogen des Kaisers Trajan. Der ist schon tausend Jahre alt. An diesem Bogen beginnt die alte Heerstraße nach Brindisi, wo wir uns einschiffen wollen.« Mein Ritter weiß alles! Und er war schon überall auf der Welt! Wenn wir manchmal nebeneinanderreiten, erzählt er mir von seinen Abenteuern, und ich bewundere ihn so sehr, dass mir der Mund offen stehen bleibt.
Wir reiten unter dem Trajansbogen durch, unser breiter Heerwurm muss sich dafür ganz schmal machen. Über dem Tor ist eine riesige Inschrift, die natürlich keiner lesen kann, und in den Stein sind jede Menge Figuren gemeißelt. Aber obendrauf wächst Grünzeug, weil sich keiner um den alten Steinhaufen kümmert. »Noch zwei, höchstens drei Tage bis Troia«, sagt Ritter Raimund fröhlich, »Dort treffen wir den Kaiser.«
»Wie ist er denn so, der Kaiser?«, frage ich neugierig.
»Ein beeindruckender Mensch«, erwidert mein Ritter. »Auf dem Heimweg von meiner letzten Kreuzfahrt hat es mich
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