Die Tore des Himmels
erhoffte, noch am nächsten. Und sie hätte wieder ein Zuhause. Aber würde sie damit ihr Ziel der Heiligkeit erreichen?
»Nun, was sagst du, Elisabeth?« Konrad wurde ungeduldig.
Sie suchte nach Worten. »Meister, ich … Ihr kennt doch meine höchste Hoffnung … glaubt Ihr, dass Christus dann an meiner Seite bleiben wird? Dass er mich einmal erhöhen wird?«
Der Prediger schürzte die Lippen. »Ich glaube, dass es dem Herrn besser gefällt, wenn du dein Leben in tätiger Nächstenliebe verbringst. Ob und wie der Herr es dir lohnt, wird auch von dir abhängen. Davon, wie weit du bereit bist, dich im Dienst für die Menschen zu erniedrigen, wie weit du bereit bist, deine eigenen Bedürfnisse geringzuachten, wie weit du bereit bist, dich zu unterwerfen. Aber so wie ich dich kenne, wird es daran wohl nicht scheitern. Wenn du mir gehorchst, dann verspreche ich dir: Ich will dich zu Gott führen.«
Da glitt Elisabeth von ihrem Stuhl auf die Knie und küsste den Saum seines Gewandes. »Ich danke Euch, Meister Konrad. Ihr seid mein guter Engel.«
Am nächsten Morgen unterzeichnete Heinrich Raspe die Abschichtungsurkunde. Damit erhielt Elisabeth ein Grundstück und mehrere Äcker außerhalb von Marburg zur lebenslangen Nutzung sowie zweitausend Mark Silber, die in vier Teilbeträgen ausbezahlt werden sollten. Zwölf bedeutende Thüringer Adelige zeugten mit ihren anhangenden Siegeln.
Wir waren alle erleichtert, ich am allermeisten. Wenn ich Elisabeth gut versorgt wusste, wenn sie eine Aufgabe hatte, mit der sie glücklich war, dann konnte ich sie guten Gewissens alleine lassen. Dann stand meinem Glück mit Raimund nichts mehr im Wege. Ich würde gar nicht mehr erst mit nach Marburg ziehen, sondern Elisabeth noch in Thüringen meinen Entschluss mitteilen. Zwar machte mich der Gedanke an dieses bevorstehende Gespräch und an die Trennung von den Freundinnen meiner Kindertage traurig, aber die Aussicht auf ein Leben mit Raimund ließ mich die Trauer vergessen.
Gleich nach der Unterzeichnung der Urkunde suchte ich meinen Liebsten, um ihm alles zu erzählen. Ich traf ihn im Hof und berichtete ihm aufgeregt die guten Neuigkeiten. Er war genauso glücklich wie ich, umarmte mich stürmisch, und wir küssten uns lange und innig. Auf einmal erschien uns die Zukunft hell und zum Greifen nah. Wir würden miteinander leben!
Ich bemerkte nicht, dass uns aus dem Fenster der Abtswohnung ein Augenpaar hasserfüllt beobachtete – das von Heinrich Raspe.
Wartburg, Mai 1228
E in verspäteter Aprilsturm setzte ein, als sich der Zug aus Reinhardsbrunn der Stadt Eisenach näherte. Der wirbelnde Graupelschauer hatte sie in Farnroda zu einer kurzen Rast gezwungen, aber danach blieb es trocken, und in zwei Stunden würden sie am Ziel sein. Raimund ließ sich den Wind um die Nase blasen und hing seinen Gedanken nach. Seine Zukunft schien gesichert. Der neue Landgraf hatte ihn gleich zu Anfang in Reinhardsbrunn gefragt, ob er auch unter ihm Waffenmeister bleiben und die Jugend des Thüringer Adels im Schwertkampf unterrichten wolle – und vielleicht auch seine eigenen Söhne, hatte er scherzhaft angemerkt. Gisa würde wohl dann als Zofe der jungen Landgräfin unterkommen, und später konnte man daran denken, Heinrich Raspe um ein Amt als Burgvogt zu bitten. Die Zukunft schien so rosig wie Gisas Wangen.
»Ei, guter Herr Raimund, so weltvergessen wie Ihr sieht nur ein Mann aus, der an ein Mädchen denkt!«
Raimund fuhr leicht zusammen und nahm die Zügel wieder auf, die er hatte schleifen lassen. Der Landgraf selber war zu ihm aufgeritten und hatte ihn angesprochen! Vielleicht war dies eine gute Gelegenheit, ihn um die Erlaubnis zur Vermählung zu bitten. »Ihr habt gute Menschenkenntnis«, grinste Raimund. »Ja, tatsächlich, ich war mit meinen Gedanken bei Frau Minne.«
Heinrich Raspes Gesichtsausdruck wurde lauernd. »Wer ist denn die Glückliche?«, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
»Gislind von Tenneberg, Liebden. Ihr kennt sie, es ist eine der Zofen der Landgrafenwitwe.«
»Potztausend! Da habt Ihr einen schönen Fang gemacht!« Der Landgraf lachte schallend.
»Wie meint Ihr das, Liebden?«
Heinrich schürzte die Lippen. »Nun, ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll … Aber Ihr seid nicht ihr erster Verehrer, mein Freund. Ich hoffe, das trifft Euch nicht allzusehr, aber die hübsche Gisa war noch nie ein Kind von Traurigkeit.«
Raimund spürte die Kälte im Rücken aufsteigen. »Ihr wollt sagen,
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