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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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quoll über vor lauter Gabenheischern, es mussten mehr als dreihundert sein. Elisabeth ließ sich den Küchentisch nach draußen tragen, stellte die erste Geldkiste darauf und sprach zu den Leuten, unter denen sich jetzt die helle Aufregung breitmachte. Alle sollten auf eine Seite des Hofs treten. Sofort brach ein heilloses Durcheinander aus, ein Drängeln und Schieben, Stoßen und Drücken. Mir wurde himmelangst bei dem Gerangel, aber wie durch ein Wunder fiel niemand hin, es gab keine Handgreiflichkeiten, sondern es bildete sich wie durch Zauberhand eine lange, vielfach gewundene Schlange. Jedem, der an ihr vorbeiging, drückte Elisabeth einen Silberschilling in die Hand. Das war mehr Geld, als die meisten in ihrem ganzen Leben jemals verdienen konnten. Die Leute waren überwältigt, sprachlos. Aber dann brach ein unglaublicher Jubel aus. Ich glaube, es gab keinen Fleck an Elisabeths Rock, den sie an diesem Tag nicht geküsst hätten.
    Nach der Geldverteilung ließ Elisabeth die Menschen fromme Lieder singen und Gebete sprechen, was sie mit Freude und Begeisterung taten. Danach gab es Speis und Trank für alle. Es war ein großes Fest. Ein Buckliger hatte seine Fiedel dabei, ein anderer eine kleine Drehleier. Wer gesunde Beine hatte, der sprang und tanzte, man erzählte fröhliche Geschichten und ließ es sich wohl sein. Ich glaube bestimmt, dass diese Stunden im Hospitalhof die schönsten waren, die diese Menschen je verbracht hatten. Und Elisabeth war mittendrin! Ich beobachtete sie, wie sie an die Kinder kleine Geschenke verteilte, Hände drückte, Kranken Mut zusprach, den Dank der Leute annahm. Ja, sie war nicht weniger glücklich als ihre Schützlinge. Genau so wollte sie sich sehen: Im Mittelpunkt einer Menge, die sie liebte und verehrte, als Geberin, als Helfende. Hier bekam sie die Anerkennung, die ihr stets von Ihresgleichen verweigert wurde, hier wurde sie gebraucht, hier konnte sie tun, was ihr tiefstes Bedürfnis war. In ihrem Überschwang vergaß sie alles um sich herum, sie vergaß sogar, zu essen und zu trinken. Sie ließ sich einfach von der Woge der Begeisterung tragen. Ich sah, wie erschöpft sie war, als der Abend kam, aber ihre Augen strahlten vor Glück, sie war wie in einem Taumel, wie im Rausch.
    Als die Sonne unterging, hatte sich der Hof geleert, nur ein Grüppchen saß noch beim Feuer. Der Alte mit der Fiedel war auch noch da, er spielte unermüdlich, und einige tanzten auch noch. Ich setzte mich müde auf den Brunnenrand und sah zu. Ein Mädchen fiel mir auf, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt und offenbar im Kopf nicht ganz richtig. Sie war wunderhübsch, hatte tiefblaue Augen und einen Kirschmund; ihr schmutziges Gewand konnte vor lauter Rissen und Löchern die üppigen Brüste und Hüften kaum verbergen. Ihr Haar erinnerte an Elisabeths; es war genauso wild gelockt und kaum zu bändigen. Aber es war feuerrot wie die Sünde. Wie ein Wasserfall rieselten die Löckchen über Brust und Rücken. Der einzige körperliche Makel dieses Mädchens war ein Klumpfuß, der sie aber nicht vom Tanz abhielt. Sie sprang und hüpfte, stampfte und drehte sich, wog ihren Körper lustvoll zu den fröhlichen Melodien. Immer wieder drückte und schmiegte sie sich an den jungen Mann, der mit ihr tanzte, einen Krätzigen, dem man die linke Hand abgehackt hatte. Im flackernden Schein der Flammen warf sie ihr Haar, raffte die Röcke, lachte und juchzte. Es war ein Bild völliger Unschuld, einfacher Körperlichkeit und blanker Verführung. Mich erinnerte es in seiner Natürlichkeit an das Liebesspiel zweier wunderschöner Tiere. Es war eine Freude zuzusehen, auch wenn man es anstößig und unzüchtig finden konnte, wie sie die Beine spreizte und die Brüste wogen ließ. Aber das Mädchen war sich dessen nicht bewusst.
    Alle standen herum, klatschten und genossen das Schauspiel. Doch plötzlich, aus heiterem Himmel, stürzte Elisabeth herbei und fuhr zwischen die beiden Tänzer wie eine Rachegöttin. »Hure!«, kreischte sie. »Billiges Weibstück! Du sollst nicht lachen und springen! Der Herr will keine Frauen, die sich benehmen wie läufige Hündinnen! Die das Haar werfen und eitel sind wie Jesabel!«
    Grob zerrte sie das Mädchen vom Feuer fort. Das arme Ding wusste gar nicht, wie ihr geschah, sie stolperte, fiel auf die Knie und begann zu jammern. Und plötzlich hatte Elisabeth ein Messer in der Hand. Ohne Erbarmen griff sie in das herrliche rote Haar, wickelte eine Strähne um ihr Handgelenk und

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