Die Tore des Himmels
schnitt sie mit einer schnellen Bewegung ab. Dann noch eine und noch eine. Das Mädchen heulte auf, wehrte sich aber nicht. Auch wir anderen waren unfähig einzugreifen. Wir standen einfach da und sahen Elisabeths Raserei voller Entsetzen zu. »So, so und so!«, kreischte sie bei jedem Schnitt. »Jetzt wirst du nicht mehr tanzen und keinen Mann mehr zur Unzucht verführen. Vorbei ist es mit deiner roten Schönheit! Geh und bitte Gott den Herrn um Verzeihung, elende Sünderin!«
Schwer atmend ließ sie endlich von dem Mädchen ab. Mit einem Schritt war ich bei der Kleinen und half ihr hoch. Sie war völlig durcheinander und verzweifelt. Rotz, Speichel und Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Warum, warum?«, greinte sie. Ich führte sie ins Haus und überließ sie Guda, bevor ich voller Zorn wieder nach draußen ging und Elisabeth suchte.
Ich fand sie hinter der Kapelle am Ufer des kleinen Baches. Sie stand da und starrte in die Dunkelheit, ihre Schultern zuckten.
»Was hast du getan?«, rief ich. »Das arme Ding kann doch nichts dafür, sie ist einfältig, ein Narrenkind! Nur Huren und Ehebrecherinnen schert man die Haare! Und Ketzern! Du hast sie entehrt! Wie soll sie jetzt nach Hause gehen? Wer wird mit ihr noch Umgang haben wollen? Wer gibt ihr so noch Almosen? Herrgott, Elisabeth, was ist nur los mit dir? Du hast unrecht getan!«
Sie drehte sich ruckartig zu mir um, ihre Augen flackerten, Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Gisa«, schluchzte sie, »Gisa, hilf mir! Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Alles ist so schlimm. Ich bin so unglücklich!«
»Ich weiß.« Ich nahm sie in die Arme. Jedes Mal, wenn sie solche Anfälle von Überschwang gehabt hatte, war der Katzenjammer auf den Fuß gefolgt. So schlimm wie heute war es allerdings noch nie gewesen, und noch nie hatte sie dabei jemandem etwas Derartiges angetan. »Das war alles zu viel für dich«, tröstete ich sie. »Du bist zu schwach, um solch eine Anspannung auszuhalten. Und dann verkehrt sich deine Freude ins Gegenteil.«
Sie weinte lange an meiner Schulter, dann löste sie sich von mir. »Ich habe mich selber in diesem Mädchen gesehen, Gisa. Meine Lust, mein Begehren, meine Leidenschaft. All das, was ich nicht mehr haben darf. All das, was ich mit Ludwig verloren habe. Ich bin ausgetrocknet, Gisa, ich kann meinen Körper nicht mehr fühlen.«
Sie war zweiundzwanzig Jahre alt damals.
An diesem Abend bat sie mich, sie in den Schlaf zu wiegen. Ich legte ihr die kleine Gertrud in den Arm und deckte sie zu. »Verlass mich nicht, Gisa«, sagte sie. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde. Du bist so klug, und du bist stark. Und ich habe oft so große Angst. Manchmal gibt mir nur der Glaube daran, dass ich meinen Ludwig einst im Himmel wiedersehen werde, die Kraft zum Leben.«
»Und du hast noch dein Kind, vergiss das nicht«, entgegnete ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Morgen früh bringe ich Gertrud zu den Nonnen nach Altenberg.«
Ich fuhr hoch. »Was?«
»Ich habe es mit Magister Konrad besprochen, bevor er fortgezogen ist. Gott soll mein Zeuge sein, dass ich für meine Kinder nicht besser und nicht schlechter sorge als für andere Nächste. Ich übergebe dem Herrn nun mein drittes Kind, er mache mit ihm, was ihm gefällt. Dies soll auch meine Sühne für das Unrecht sein, das ich heute Abend getan habe.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Elisabeth, das kannst du nicht machen! Sie ist grade mal anderthalb Jahre alt. Sie braucht noch die Mutter!«
Da sagte sie fast träumerisch: »Ich bin so sehr die Mutter aller, dass ich die meiner Kinder nicht mehr sein kann.«
Ich stand auf und ging.
Ich verstand diese Frau nicht mehr.
Primus
S eit Weihnachten liege ich Konrad, dem Töpfer, in den Ohren, dass er Miriam bei sich arbeiten lässt. Jetzt endlich hat er sich weichklopfen lassen. Ich gehe also mit meiner Frau in die Salzgasse, und als sie die ganzen Gefäße sieht und die Töpferscheibe und alles andere Zeug, da strahlt sie übers ganze Gesicht. Sie schnappt sich einen Krug, befeuchtet die Oberfläche mit Wasser und bepudert sie mit Bleipulver. Sie findet auch gleich andere Zutaten, mischt Kupfer und dann auch Bronze mit dem Blei und gibt alles auf die irdenen Oberflächen. Und als ich abends wiederkomme, ist der Krug schön gelb gebrannt, und die anderen Sachen leuchten in verschiedenen Grüntönen. Konrad freut sich. So schön glasierte Gefäße hatte der noch nie! »Also«, sagt er, »wenn sie will, kann sie bei mir
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