Die Tore des Himmels
anfangen. Für zehn glasierte Gefäße gebe ich ihr einen Viertelpfennig.«
Das ist zwar unverschämt wenig, aber Miriam will unbedingt arbeiten. Ach, und auf dem Heimweg gibt sie mir einen Kuss nach dem anderen, so froh ist sie. Außerdem brauchen wir den Zuverdienst dringend. Denn der Mutter geht es immer schlechter; seit Michaeli spuckt sie Blut. Vielleicht können wir ihr jetzt beim Bader einen Balsam machen lassen oder eine andere Medizin. Sie ist so schwach, dass ich gar nicht drüber nachdenken will. Den zweiten Michel kann sie längst nicht mehr stillen. Miriam kaut Gemüse, Brot und Grütze klein und füttert ihm alles von Mund zu Mund. Aber er verträgt das nicht gut, oft muss er schrecklich kotzen und kriegt den Dünnschiss. Manchmal haben wir Angst, dass wir ihn nicht durchbringen.
Mir selber geht es gut bei meinem Herrn Raimund. Seit ein paar Monaten lebt der kleine Hermann bei uns, der Neffe des Landgrafen. Der Fürstbischof hat ihn aus Bamberg hergesandt. Und die vom Adel und alle Hochwohlgeborenen schicken nun ihre Söhne, damit sie zusammen mit dem kleinen Landgrafen erzogen werden, wie es Brauch ist. Vormittags haben sie alle bei Ritter Raimund Unterricht im Schwertkampf und machen Waffenübungen, und nachmittags lernen sie reiten. Ich kümmere mich jetzt auch um ihre Pferde und das ganze Sattelzeug.
Um meinen Herrn steht es nicht so gut. Ich sage, er hat die Melancholei. Er sagt, er hat gar nichts. Aber das stimmt nicht. Zwischen ihm und meinem Engel, der Jungfer Gisa, ist nämlich was gewesen. Ich hab’s genau gemerkt, ich bin ja nicht blöd. Und dann haben sie sich gestritten – das weiß ich von der Hühner-Els, die hat zufällig gesehen, wie sie sich im Garten der Wartburg angeschrien haben. Jungfer Gisa ist dann zusammen mit der Landgräfin nach Marburg gegangen. Das ist jetzt schon über ein Jahr her. Und seitdem hat Herr Raimund die Traurigkeit. Ich würde ihm ja gern helfen, aber ich weiß nicht, wie.
Von der Landgräfin und ihren Dienerinnen hört man so manches. Die Leute erzählen, dass sie das Geld verschenkt, das sie von Heinrich Raspe als Wittumsgeld bekommen hat. Den Landgrafen hat’s vor Wut fast zerrissen, als er die Nachricht bekam, und er hat gebrüllt, sie kriegt nichts mehr von ihm. Und der Prediger Konrad muss auch getobt haben, weil sie ja eigentlich nichts ohne ihn entscheiden darf. Es heißt, er prügelt sie regelmäßig. Das macht mich ganz wütend. Wie kann er das wagen? Sie steht doch himmelhoch über ihm! Aber die Leute sagen, Frau Elisabeth hat jetzt für alle sichtbar die Armut gewählt und ist von ihrem Platz hinuntergestiegen. Sie hat jetzt keinen hohen Rang mehr und nichts zu bestimmen, das ist allein ihre Schuld. Wenn sie jetzt Prügel kriegt, soll sie sich nicht beschweren. Aber ich mache mir Sorgen um Jungfer Gisa! Ob sie auch Schläge kriegt? Als sie nach Marburg abgereist ist, hat sie ganz traurig ausgesehen, die Ärmste. Man fragt sich, warum sich die Leute überhaupt verlieben, wenn sie doch davon gemütskrank werden.
Von Ortwin halte ich mich möglichst fern. Gott sei Dank hat er vergessen, dass er im Suff beinahe sein Geheimnis preisgegeben hätte, und ich werde den Teufel tun, ihn daran zu erinnern. Er schwirrt immer um den Landgrafen herum und tut so, als sei er sein bester Freund. Jedes Mal wenn ich die beiden zusammen sehe, wird mir mulmig. Wer weiß, welche Missetat die noch aushecken! Da vorne sehe ich sie reiten. Ich weiß, dass sie in Eisenach immer noch zu den Treffen der Luziferianer gehen. Ortwin hat mich nämlich gefragt, ob ich wieder Schmiere stehen will. Aber ich hab abgelehnt, hab gesagt, jetzt wo ich der Diener des Waffenmeisters bin, brauche ich mich nachts nicht mehr herumzutreiben. Was führen die wohl noch im Schilde, frag ich mich. Manchmal sehe ich diesen unheimlichen Ketzerpriester, wenn er in seiner dunklen Kutte auf der Burg oder in der Stadt umherschleicht. Der Mensch macht mir Angst. Er wirkt auf seine Weise genauso böse wie dieser Konrad von Marburg, der die Landgräfin unter seiner Fuchtel hat.
Wir sind gerade auf der Rückreise von der Neuenburg, wo sich der Hof zwei Monate aufgehalten hat. Dass ich so lang von daheim fort bin, gefällt mir weniger, aber es gehört eben dazu, ich bin jetzt ein Teil des landgräflichen Hofgesindes. Vorhin hab ich meinen Herrn gebeten, mich zuerst zu meiner Familie nach Eisenach zu lassen, und er hat mir einen Tag freigegeben. Also trenne ich mich vom landgräflichen Zug und
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