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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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betrogen, Leute überfallen und abgestochen, so was in der Art.«
    »Hm. Und jetzt ist er der Leibwächter des Landgrafen.« Herr Raimund hat sich lange am Kinn gekratzt.
    »Ja, und ganz dick mit ihm.«
    Mein Ritter hat die Backen aufgeblasen. Und danach hat er noch finsterer dreingeblickt als vorher. Ob er irgendwas ahnt?
     
    Und dann haben die Sorgen um den zweiten Michel angefangen. Es war, glaub ich, um Egidi herum, als er auf der Nase ein winziges rotes Pünktchen bekam. Anfangs haben wir geglaubt, es sei ein Flohbiss. Aber dann ist das Pünktchen größer geworden und aufgegangen und hat angefangen zu nässen. Die Hausmännin hat Miriam geraten, die Wunde zweimal täglich mit Essig abzutupfen, aber das hat nichts geholfen. Immer größer ist die offene Stelle geworden, die halbe Nase war ohne Haut, und bald hat alles angefangen zu eitern. Merkwürdigerweise tat es aber anfangs nicht weh. Nur, wenn der Michel dran gekratzt hat, haben sich Grinde gebildet, und dann hat es auch geblutet.
    Als sich die Wunde über die linke Backe gezogen hat bis zum Hals, haben wir den Michel zum Arzt gebracht. Der hat grimmig geschaut, klug dahergeredet, hmhm und aha gemacht und uns dann eine Salbe mitgegeben. All unsere Ersparnisse hat uns das gekostet, aber mit der Wunde ist es nicht besser geworden. Im Gegenteil, sie hat sich über den Hals hinunter bis auf die Brust ausgeweitet, sich dann über Oberarm und Schulter gefressen. Blankes, offenes Fleisch. Der Michel konnte inzwischen kein Hemdchen mehr anziehen, weil der faserige Wollstoff an ihm festgeklebt wäre. Wir wussten kaum noch, wie wir ihn anfassen sollten. Und inzwischen war es auch so, dass eine Entzündung dazukam und der Michel doch Schmerzen hatte, dauernd hat er gejammert und gegreint, dass sich einem das Herz zusammengekrampft hat. Er hat uns so leidgetan. Und wir hatten solche Angst, dass es immer schlimmer wird, dass die offene Wunde mit der Zeit die ganze Haut wegfrisst. Und ohne Haut kann ein Mensch nicht leben, sagt die Hausmännin. Der Bader, bei dem wir auch mit Michel waren, hat sogar gesagt, man stirbt, sobald bloß noch die Hälfte des Körpers mit Haut bedeckt ist. Das hat er schon erlebt.
    Miriam war ganz außer sich vor Kummer und Sorge. Sie liebt den Michel wie ihr eigenes Kind. Und mich hat die blanke Angst gepackt. Der Kleine ist doch mein Ein und Alles, verrückt würde ich werden, wenn er sterben müsste. Der liebe Gott hat ihn uns doch geschickt für meinen toten Bruder. Da kann er uns den Michel doch nicht zum zweiten Mal nehmen!
    Und dann, eine Woche vor Allerseelen, haben wir ein zweites Pünktchen entdeckt, am rechten Oberschenkel. Es war gerade dabei aufzugehen. Inzwischen hat der Michel Tag und Nacht ununterbrochen gewimmert. Er hat sich auch nicht mehr trösten und ablenken lassen, und er wollte kaum mehr was essen. Keinen Rat haben wir uns mehr gewusst. Miriam ist nur noch mit rotgeweinten Augen herumgelaufen. Und dann ist sie eines Abends zu mir gekommen und hat mir mit ihren Handzeichen gesagt: Elisabeth.
    Ich hab sofort gewusst, sie ist unsere letzte Hoffnung.
     
    Und jetzt sind wir in Marburg, Miriam, Michel und ich. Ich habe meinen Herrn Raimund um die Entlassung gebeten, und er hat mich ziehen lassen. Schwer ist es mir schon gefallen, aber wenn es um Michels Leben geht, hab ich keine Wahl. Wir haben einen Eselskorb gebastelt, in den wir Michel legen können. Den dazugehörigen Esel hab ich in der Nacht vor unserer Abreise aus dem Pferch hinterm Hellgrevenhof geklaut. Mir war klar, bis die das merken, sind wir schon über alle Berge.
    Der Weg war länger, als ich gedacht hatte, und dem Michel ist es unterwegs immer schlechter gegangen. Am Ende hat er auch noch Fieber gekriegt. Da haben wir gedacht, wir bringen ihn nicht lebend nach Marburg. Aber jetzt endlich sind wir da.
    Wir finden das Hospital auch gleich, es liegt ja nicht weit vor dem nördlichen Stadttor. Du meine Güte, überall Gewimmel. Eine Traube Menschen steht vor dem Hospitaleingang, jemand verteilt gerade Brot über das Weidengatter. Ich quetsche mich durch, mit Michel auf dem Arm. »Lasst uns ein, in Gottes Namen«, sage ich zu der älteren Magd, die sich gerade über den Brotkorb bückt, »ich habe ein todkrankes Bübchen.«
    Sie schaut mit zusammengekniffenen Augen auf. »Wir haben keinen Platz mehr«, brummt sie. »Sieh doch selbst!«
    Ja, sie hat recht. Drinnen im Hospitalhof drängen sich Alte, Kranke und Krüppel, überall lagern Menschen, kein Fleckchen, das

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