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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Herrgott passt doch auf mich auf.«
    »Aber es ist doch bald nichts mehr von dir übrig!«
    »Soll ich dir etwas verraten, Gisa?« Elisabeths Blick nahm einen träumerischen Ausdruck an. »Wir haben eine Abmachung getroffen, der Herrgott und ich. Ich gebe ihm täglich ein Stück mehr von mir, und er schenkt mir dafür das Leben meiner Lieblinge.«
    »So wie das von Michel?«
    Elisabeth nickte ernst. »Dafür, dass er gesund geworden ist, hab ich gelobt, nie mehr in einem Bett zu schlafen.«
    »Du meinst, du schläfst schon den ganzen Winter über auf dem nackten Boden?«
    »Ja! Ohne Decken und Kissen. Und der Kleine ist nicht gestorben. Siehst du, so hält der Herr sein Wort!«
    Ich strich ihr mit Schaudern über den misshandelten Rücken. »Wie kannst du das nur alles aushalten?«, entfuhr es mir.
    »Für Gott und das Wohl meiner Seele«, antwortete sie ruhig. Und dann sagte sie etwas, das mir in alle Glieder fuhr. Sie sagte: »Es wird nicht mehr lange dauern.«
     
    Danach lief ich so aufgewühlt zu Konrad, dass ich ihn anschrie: »Sie muss essen! Tut etwas! Oder wollt Ihr, dass sie verhungert?«
    Konrad sah mich grimmig an. »Ich bin der Letzte, der das will!«, knurrte er.
    »Dann lasst mich wieder ganz zu ihr! Und die anderen. Und gebt ihr das Kind zurück. Wer will denn noch leben, wenn er von allem getrennt ist, was er liebt?«
    Der Prediger schnaubte. »Wann begreifst du es endlich? Nur wer an nichts gebunden ist, kann sich mit Gott eins fühlen. Elisabeth hat das verstanden, euer Weggang war auch ihr Wunsch. Sie hat schließlich ein höheres Ziel.«
    »So wie Ihr, nicht wahr? Sie will im Himmel erhöht werden, aber Ihr, Ihr sucht den Lohn im Diesseits. Ihr wollt einmal das Verdienst für Euch in Anspruch nehmen, eine Heilige geformt zu haben, die erste weibliche Heilige dieser neuen Armutsbewegung, die überall um sich greift. Eine Schwester des Franz von Assisi! Damit lässt sich ein glorreicher Ruf erwerben, nicht wahr? Damit bringt man sich ins Spiel für höhere Weihen!«
    Er starrte mich an. »Gib acht, was du sagst!«, fauchte er.
    Ich hätte ihn am liebsten ins Gesicht geschlagen. »Ach, habe ich etwa nicht recht?«, schrie ich ihn an. »Dann ist es wohl etwas anderes. Vielleicht die klammheimliche Freude und die unkeusche Lust, die Ihr dabei empfindet, anderen Schmerzen zuzufügen? Die unselige Befriedigung, einen anderen Menschen zu Eurer Kreatur gemacht zu haben? Ihn bedingungslos zu unterwerfen? Zuzusehen, wie er Euretwegen immer mehr verfällt? Ihr habt einen kranken Geist, Meister Konrad, der Euch dazu bringt, dem Bösen in Euch das Mäntelchen der Frömmigkeit umzulegen!«
    Er stand nur da, zitternd vor Wut. Meine Worte hatten so sehr die Wahrheit getroffen, dass er nichts erwidern konnte.
    »Lasst Elisabeth gehen!«, schrie ich. »Ihr bringt sie um!«
    Da verzerrte sich sein Gesicht zur Fratze, und er brüllte zurück: »Niemals!«
    »Konrad von Marburg, ich sage Euch, Gott wird Euch dies nicht verzeihen!«
     
    Von diesem Zeitpunkt an ließ mich der Prediger nicht mehr ins Hospital. Ich weinte tagelang; Primus und Miriam, die während Michels Genesung bei mir wohnten, konnten mich nicht trösten. Ich weinte um ein kleines Mädchen, das mutterseelenallein in ein fremdes Land geschickt wurde und mir seine Lieblingspuppe schenkte. Um ein pummeliges junges Ding, das zusammen mit mir Honigtortelli aus der Burgküche stibitzte und für sein Leben gern Zuckernüsse naschte. Eine junge Ehefrau, die aufblühte aus lauter Liebe zu ihrem Mann. Eine Frau, die so sehr mit anderen litt, dass sie am Ende kein Gefühl mehr für sich selber hatte. In diesen Tagen trauerte ich, weil ich wusste, dass ich sie verloren hatte.

Marburg, Herbst 1231
    D er Herbst kam früh in diesem Jahr 1231 . Schon im September gab es den ersten Frost; der Wein auf den Hängen um die Lahn erfror vor der Lese. Die Menschen stellten sich auf einen langen Winter ein, brachten Brennholz in Vorrat, dichteten Hütten und Häuser ab. Eine gute Getreideernte hatte für gefüllte Scheunen und Keller gesorgt, man würde bis zum Frühjahr keinen Hunger leiden müssen. Das letzte Stück Stadtmauer war auch fertiggestellt, so dass in diesem Winter weder frierende Bettler noch Wölfe die friedlichen Bürger heimsuchen würden. Alles schien gut zu sein. Doch dann kam die Seuche.
    Es war eigentlich keine besondere Krankheit, nur das, was man immer schon in der kalten Jahreszeit gewohnt war. Es kam von Frankfurt her und griff um sich wie der Wind,

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