Die Tore des Himmels
herbey, wenn Euch am Leben der Jungkfer etwas liegt.
Gebt dem Überpringer dißer Nachrichtt ein Bothen Lohn, ich hab’s ime versprochen.
Es warthet auff Euch voll Ungeduldt Euer unterthänigster Knechtt und Diener
Primuß von Eißenach, zu Marburgk dahier in der Aullgass im Hauß des Schußters Hanß Kissel unterm Dach.
Marburg, Januar 1232
E in Reiter galoppierte mitten im wildesten Schneegestöber über die Lahnbrücke; beinahe hätte er den alten Stadtwächter über den Haufen geritten; der Alte konnte gerade noch einen Fluch ausstoßen und zur Seite springen. Der Fremde trieb sein Ross durch die Gassen, fragte ohne abzusteigen ein paar Leute nach dem Weg und sprang schließlich vor einem windschiefen Häuschen in der Aulgasse ab. Sein Haar glitzerte weiß vom Reif, der Atem war ihm im Bart gefroren. Mit jedem Schritt nahm er drei Stufen auf der Treppe, die unters Dach führte, und platzte in die kleine Kammer.
»Was ist mit ihr? Wo ist sie? Sag mir bitte, dass sie noch lebt!«
Primus sprang auf. »Dem Herrgott sei Dank, dass Ihr da seid, Herr! Kommt, ich erzähle Euch alles.«
Raimund warf den Mantel ab und setzte sich an den Tisch. Dort barg er voller Verzweiflung das Gesicht in den Händen. »Ich bin schuld, Primus. Ich habe ihr nicht geglaubt.«
Primus setzte sich neben ihn. »Sie hat es Euch erzählt, nicht wahr? Dass der Landgraf ein Ketzer ist.«
Raimund hob den Kopf. »Es stimmt also wirklich? Und das mit Ortwin?«
»Er hat den Landgrafen umgebracht, darauf würde ich mein Leben verwetten. Ich hab’s Euch nie gesagt, Herr, aber er war kurz vor Herrn Ludwigs Tod bei ihm, damals auf dem Schiff. Und ich hab vorher zusammen mit Jungfer Gisa gesehen, wie Heinrich Raspe ihm Geld gegeben hat. Ortwin ist auch einer von den Teufelsanbetern! Und zu mir hat er letztes Jahr im Suff gesagt, der Landgraf schulde ihm was, eine große Sache!«
»Allmächtiger!« Raimund schloss die Augen. »Das ist ungeheuerlich!«
Miriam kam herein und umarmte Raimund stumm zur Begrüßung. Sie brachte ihm ein Schälchen mit Sauermilch und einen Brotkanten, während Primus weitersprach: »Herr, ich glaube, Jungfer Gisa lebt noch. Und ich denke, ich weiß auch, wo sie ist.«
»Wo?« Raimund schob Brot und Milch von sich weg. Er konnte jetzt nichts essen.
»Die Leute munkeln, dass seit ein paar Wochen wieder jemand im Kerker der Burg sitzt. Keiner weiß was Genaues, aber die Wächter lassen offenbar täglich Wasser und Brot hinunter.«
»Wir müssen herausfinden, ob sie es ist.« Raimund stand schon wieder.
»Was wollt Ihr tun?«, fragte Primus.
»Ich reite auf die Burg. Und du kommst mit.«
Zwei Stunden später, es wurde bald Nacht, hatten sie für Primus ein Pferd besorgt und trabten auf das Burgtor zu. Der Wächter, ein schlaksiger Bursche mit pickeligem Kinn, verstellte ihnen den Weg. »Wer seid Ihr, und was ist Euer Begehr?«
»Raimund von Kaulberg, Waffenmeister des Landgrafen«, antwortete Raimund in schroffem Tonfall. »Ich bin auf dem Durchritt und brauche Quartier für mich und meinen Diener.«
Der Torwart erkannte das thüringische Wappen auf der Satteldecke und gab den Weg frei.
Es dauerte ein Nachtmahl und ein paar Gespräche mit dem Burggesinde, bis sie herausgefunden hatten, dass der Kerker unter dem alten Bergfried an der Südwestecke des Palas lag. Dann wies ihnen der Kämmerer eine Schlafkammer über dem Marstall zu, wo Raimund den ganzen Abend unruhig auf und ab ging. Primus hielt es nicht in der Stube; er versuchte derweil auszukundschaften, wie man in den Turm hineingelangte. Und tatsächlich: Es gelang ihm, dem jungen Torwart in einem Winkel der Hofstube mit ein paar Stübchen Wein die Zunge zu lösen.
»Also«, erzählte Primus aufgeregt, als er von seinem abendlichen Plausch zurückkam. »Vom Wehrgang der südlichen Mauer her führt eine hölzerne Schlupfpforte in das erste Stockwerk des Turms. Den Schlüssel hat der Nachtwächter auf seinen Rundgängen dabei, zwischendurch hält er sich für gewöhnlich auf dem kleinen Ausguck neben dem Tor auf, wo er meistens pennt. Wir müssen ihm nur den Schlüsselring klauen, dann sind wir drin.«
Raimund klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Gut. Morgen besorgst du in der Stadt Frauenkleider und ein paar große Decken. Außerdem Kerzen, und zur Sicherheit vielleicht auch noch ein langes Seil. Dann erkunden wir den besten Weg. In der Nacht geht’s dann los.«
Primus nickte eifrig. »Wir schaffen das!«, sagte er und ballte die
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