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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Bäume davon.
    »Herrgottskruzifix!« Walter von Vargula, unser männlicher Reitbegleiter, stieß einen Fluch aus und preschte Guda nach. Wir mussten wohl oder übel hinterdrein.
    Als wir sie schließlich erreichten, saß Guda zwischen einem aufgerissenen Kohlemeiler und einer windschiefen Holzhütte auf dem Boden und hielt sich heulend die Schulter. Die Stute stand seelenruhig mit hängenden Zügeln neben ihr und mampfte zufrieden vor sich hin; ein paar trockene Grasstängel hingen ihr seitlich aus dem Maul.
    Wir stiegen ab, und während sich Herr Walter das Pferd schnappte, halfen wir der armen Guda auf. Sie hatte sich nichts weiter getan, aber sie war pechschwarz vom Kohlestaub, Gesicht, Hände, Kleider, einfach alles.
    »Ei, du kleiner Schmutzfink, so können wir dich nicht mit heimnehmen«, grinste Herr Walter. »Lass uns beim Köhler nach Wasser fragen.«
    Er ging zur Hütte hinüber und klopfte an die klapprige Tür. Niemand öffnete, obwohl doch aus einem Loch im moosbedeckten Dach ein dünner Rauchfaden aufstieg. Schließlich ging er hinein, und ich aus Neugier gleich hinterdrein.
    Was ich drinnen sah und roch, ließ mich nach Luft schnappen. Noch nie war ich im Haus armer Leute gewesen, hatte mir auch keine Gedanken darüber gemacht, wie sie lebten. Auf das, was jetzt kam, war ich nicht vorbereitet. Es war düster in dem einzigen Raum, weil man die Fensteröffnungen zum Teil mit Lumpen verhängt hatte. Auf der Herdstelle kokelte ein Feuer vor sich hin, und da der Abzug durch das Loch im Dach schlecht war, waberten Rauchschwaden in der Stube, und es biss in den Augen. Ich blinzelte und erkannte einen roh zusammengezimmerten Tisch und ein paar niedrige Hocker, darüber baumelten an Schnüren vom Dachbalken ein Stück schwarzer Speck, ein Zwiebelzopf und ein Säckchen Mehl – so schützten die Leute ihre kostbaren Vorräte vor den Mäusen und Ratten. Alles starrte vor Schmutz und Unflat. In einer Ecke war das Lager für die Köhlerfamilie: fauliges Stroh, ein paar zerfledderte Felldecken und haufenweise Lumpen und Fetzen. Doch nein, es waren nicht Lumpen und Fetzen – es bewegte sich. Das waren Menschen, die da zusammengekrümmt lagen! Und jetzt roch ich nicht nur den Rauch, sondern auch den säuerlichen Gestank von Kot und Erbrochenem.
    Walter von Vargula trat an das Lager, da sagte jemand mit ganz schwacher Stimme: »Kommt nicht heran, Herr, wir haben alle das Bauchgrimmen.«
    Der alte Ritter wich zurück, und ich auch. Schlimme Darmkrankheiten gingen zur Zeit unter den Leuten um, das hatte man sich bei Hof schon erzählt. Und dass schon viele gestorben waren an der Abweiche. So etwas kam häufig vor, immer wieder grassierten Seuchen, besonders im Herbst und im Winter. Uns traf das selten, der Hof lebte viel zu abgeschieden von den einfachen Menschen. Nur die Einträger für Küche und Keller oder ein paar Mägde und Knechte kamen täglich nach draußen.
    Inzwischen hatten sich meine Augen an die Dunkelheit der Hütte gewöhnt, und ich erkannte auf dem Schlaflager einen alten Mann, der ganz zusammengekrümmt auf der Seite lag. Neben ihm, auf die Ellbogen gestützt, eine Frau, sie hatte uns angesprochen. Ihr Haar war strähnig und verklebt, und ich glaubte, darin die Läuse wimmeln zu sehen. Am Hals hatte sie ein nässendes Geschwür, das aussah wie grauer Blumenkohl. Eng an sie geschmiegt hockten drei halbnackte, magere Kinder im Stroh, rotzverschmiert, dreckig, mit eiterverkrusteten Augen. Sie glotzten uns mit ausdruckslosen Gesichtern an. Eines der Kleinen, ein Mädchen mit verfilzten Zöpfen, hielt einen Säugling im Arm. Er war mehr schlecht als recht gewickelt, und die Windelbahnen waren mit Kot und Urin durchtränkt. Dort, wo der Bauchnabel sein musste, ringelten sich winzige weiße Würmer. Das Kind gab leise, klagende Laute von sich wie ein verlassenes Katzenjunges. Der alte Mann erbrach sich im Liegen, es schüttelte und würgte ihn zum Gotterbarmen.
    Ich war fassungslos vor so viel Not und Jammer, und gleichzeitig ekelte ich mich so sehr, dass es mir fast den Magen umdrehte. Schon wollte ich hinauslaufen – da sah ich Elisabeth in der Tür stehen. Ihre Miene verriet das gleiche Entsetzen, die gleiche Abscheu, die auch ich empfand. Aber dann ging eine merkwürdige Veränderung mit ihr vor. Ihr Gesicht wurde ganz weich, und in ihre Augen trat etwas, das von da an ihr ganzes Leben bestimmen sollte, bis zum Ende: Mitleid. Überfließendes, zutiefst empfundenes, unaussprechliches Mitleid. Nie

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