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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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aufgehängt, damit er an der Luft schön blau wird. Danach gibt es nichts mehr zu tun. Deshalb treibe ich mich am Montag immer mit Michel in der Stadt herum, so wie heute. Als wir in die Badergasse kommen, hören wir schon von weitem den Lärm von einer Rauferei. Natürlich rennen wir hin; drinnen im Bad ist großes Gekeife und Gekeile, der Bader schmeißt gerade einen Kerl raus und schreit: »Nicht in meiner Badstube! Meine Badstube ist von der Obrigkeit genehmigt! Geh ins Hurenhaus, du Sau!«
    Wir kichern, weil der Kerl nackig da steht und einen feuerroten Kopf hat. Jetzt wirft ihm der Bader seine Kleider nach und er zieht sich hastig Bruoche und Beinlinge an. Er merkt gar nicht, dass ihm dabei eine Münze herunterfällt, schlüpft noch in Hemd und Gugel und haut schnell ab. Pfeilschnell schießt Michel auf das Geldstück zu, schnappt es sich und flitzt davon. Ich natürlich hinterher. Er biegt um die nächste Ecke, da rennt er in einen größeren, vielleicht zwölfjährigen Jungen hinein, der ihm breitbeinig den Weg versperrt. Oh, oh, denke ich, das gibt Ärger. Hinter dem Jungen stehen nämlich noch andere, die Hände in die Hüften gestemmt. Wir sind zwei, aber die sind viel mehr. Der Junge streckt die offene Hand aus und sagt: »Los, gib her!«
    Michel schüttelt trotzig den Kopf. »Das ist meins. Ich hab’s gefunden!«
    »Scheißegal«, sagt der andere. »Das hier ist unsere Gasse.«
    Michel schüttelt bockig den Kopf, da hat ihn der Große auch schon gepackt und auf den Boden geworfen. Ein zweiter zwingt seine Faust auf und greift sich die Münze. Und ich greife mir ihn. Ich verpasse ihm eine blutige Nase, aber dann gehen die anderen auf mich los. Zwei halten mich, einer haut mir aufs Auge und in den Magen. Dem Michel geht es ähnlich. Wir wehren uns, was das Zeug hält, aber am Schluss liegen wir beide im Dreck und haben keine Kraft mehr. Der Große pfeift durch die Zähne, und sofort lassen seine Kerle von uns ab. Er stellt sich vor uns hin, und ich sehe, dass er quer über der linken Schläfe eine frische Narbe hat, die sich bis in sein dunkles Haar hineinzieht. »Wie heißt ihr?«, fragt er. Was soll’s, wir sagen ihm unsere Namen.
    »Ich bin Ortwin, dass ihr’s wisst.« Er begutachtet die Münze, die sie Michel abgenommen haben. »Und alles hier vom Fluss bis zur Rolle ist mein Gebiet.«
    Ich muss husten. Michel heult.
    »Lasst euch bloß nicht noch mal hier blicken«, knurrt Ortwin und versetzt mir noch einen Tritt mit der Fußspitze. »Sonst könnt ihr was erleben. Und jetzt verschwindet.«
    Ich ziehe Michel davon, er humpelt, und ich sehe nur noch auf einem Auge was, weil das andere zugeschwollen ist. Wir sind ein recht jämmerlicher Anblick, als wir zu Hause ankommen. »Jesusmariaundjosef!«, schreit die Mutter. »Ha, geprügelt haben sie sich, die Saubankerten!«, knurrt der Vater. »Und, habt ihr wenigstens gewonnen?«
    »Solltest erst mal die anderen sehen«, lüge ich.
     
    Zwei Wochen später ist Großer Markt. Hei, das ist ein Spaß! Wenn ich Geld hätte, um was zu kaufen, wär’s noch viel schöner. Aber Michel und mir muss halt das Schauen genügen. Auf dem Platz wimmelt es vor Leuten. Höker mit allerlei Tand, von der Garnrolle bis zum Noppenbecher, bieten ihre Ware feil. Von draußen sind eine Menge Bauern gekommen, mit Kiepen auf dem Rücken, voller Eier oder Käselaibe oder frischem Lattich. Sie schleppen Holzkäfige mit lebenden Hühnern und zerren Ziegen und Lämmer an Stricken hinter sich her. Andere kommen aus den Lohwäldern und haben Körbe mit abgeschälter Eichenrinde dabei, die man zum Gerben braucht. Dann sind da die aus Frankenhausen und bieten Salz feil. Ich weiß gar nicht, wie Salz schmeckt, weil es ist so teuer, dass wir’s uns nicht leisten können. Als einem der Salzsieder ein graues Krümelchen beim Verkaufen runterfällt, laufe ich schnell hin und steck’s mir in den Mund. Pfui Teufel! Und dafür zahlen die Leute einen Haufen Geld? Wie blöd müssen die denn sein!
    Dann ist da einer, der verkauft Spielkarten, und Würfel, die sind aus Pferdeknochen geschnitzt. Und einer, bei dem gibt’s schöne Messer. So eins hätt ich auch gern. Der Michel bleibt bei einer dicken Frau mit Bauchladen stehen. »Na, Kleiner«, säuselt die, »willst du eine von meinen guten Krautwürsten?« Klar will er, bloß kaufen kann er sich keine. Ich sehe ihm an, wie er überlegt, ob er sich eine schnappen und wegrennen soll. Aber da hinten ist der Büttel, und der ist ziemlich schnell.

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