Die Tore des Himmels
ihr um den Hals. Die Frau umarmte ihr Töchterchen froh und erleichtert. Dann beeilte sie sich, aus der Burg zu kommen.
Ich war wütend. Wie konnte Elisabeth einfach so ein Menschenkind mitnehmen, als sei es ein streunender Hund? »Nicht für einen Pfifferling Hirn hast du«, schalt ich sie. »Hättest doch morgen wieder in die Stadt gehen können und der Kleinen dort die Haare kämmen!« Dann lief ich noch einmal zurück zum Torwart. Gott sei Dank war es Eppo, ein freundlicher Riese, der uns Mädchen gern mochte. »Eppo, bitte verrat uns nicht«, bat ich, und er lachte und legte zum Zeichen seines Schweigens den Finger über die Lippen. Das war noch einmal gutgegangen!
»Mach das bloß nicht wieder!«, brummte ich Elisabeth an. »Oder willst du, dass dich Mutter doch noch nach Ungarn zurückschickt?«
»Ach, du hast ja recht«, sagte sie und biss sich schuldbewusst auf die Lippen. »Ich will’s nie wieder tun.«
Aber ich sah ihr an, dass sie es eigentlich nicht ernst meinte.
Primus
I ch bin jetzt sieben und habe seit letztem Sommer eine feste Arbeit, drunten am Mühlbach vorm Georgentor, beim Färberjohann. Der macht aus Waid schöne blaue Farbe, und ich und noch zwei Buben helfen ihm dabei, an drei Tagen in der Woche. Erst, hat er erzählt, erntet man die Waidblätter und zerquetscht sie zu Mus. Daraus rollt man kleine Kugeln, die bringen dann die Waidbauern in die Stadt, und der Johann kauft sie ihnen ab. Er tut sie in eine große, flache Kufe und schüttet Pisse drüber, jede Menge. Dann kommen wir. Drei Tage lang müssen wir in der Kufe herumstampfen, damit sich alles gut zu einem Brei vermischt. Man glaubt gar nicht, wie das stinkt, weil ja alles gärt. Wenn wir mit Stampfen fertig sind, sind wir zum Umfallen müde. Der Färberjohann kocht später die Färbebrühe mit Seifenkraut auf und tut Wolle oder Stoffbahnen hinein. Wenn er sie dann wieder herauszieht, sind sie erst ganz gelb, aber später werden sie langsam blau. So geht das.
Meine Beine sind auch blau, bis zu den Knien. Das sieht lustig aus. Aber ich verdiene mehr Geld als beim Seiler, und das brauchen wir dringend, weil jetzt haben wir ja noch ein Brüderchen, das Hannolein. Gott sei Dank kein Mädchen wie die Ida! Mädchen kratzen und beißen, wenn man sie ärgert, und dumm sind sie obendrein. Nach Heiligdreikönig hat die Ida nämlich das Hannolein fallen lassen, und seitdem rollt ihm immer das eine Auge weg. Der Vater hat sie arg gehauen deswegen, aber die Mutter hat Ida in den Arm genommen und gesagt, das hilft dem armen Wurm jetzt auch nicht, und sie hat es schließlich nicht mit Absicht gemacht. Drum sag ich ja, Mädchen sind dumm.
Überhaupt rutscht dem Vater jetzt immer öfter die Hand aus. Meistens hat er ja recht, weil wir was ausgefressen haben. Aber manchmal haut er uns einfach, weil’s ihm Spaß macht. Der Michel und ich sind oft ganz voller blauer Flecke, und neulich hat der Michel ihn angeschrien, ichhassedichichhassedich. Die Mutter sagt, ihm gefällt das Leben nicht mehr und deshalb ist er oft so gemein. Er hat immer noch keine feste Arbeit, und weil er als Taglöhner auch nichts Rechtes findet, hilft er meistens dem Hundschlager und dem Schinder, weil mit denen will sonst keiner, die sind ja unehrlich. Aber ich finde es gar nicht so schlecht, denn manchmal bringt er ein Stück Fleisch mit von einem toten Tier. Hauptsache wir müssen keinen Hunger haben.
Der Winter war heuer zwar kalt, aber wir haben in unserem Schweinestall nicht so frieren müssen, weil ich vom Färberjohann eine Rolle Wollstoff bekommen hab, die beim Färben fleckig geworden ist. Mutter hat daraus Decken für unser Bettlager genäht, und so haben wir’s schön warm gehabt in der Nacht. Dem Vater war’s wahrscheinlich zu warm, weil er immer mitten in der Nacht aufgestanden und weggegangen ist. Wenn er dann wieder ins Bett kam, hat er gerochen wie die Leute in der Wirtschaft zum »Wilden Mann«. Jetzt ist es wieder Frühjahr, und er steht immer noch jede Nacht auf. Ich hab mich gewundert und bin ihm einmal nach, und jetzt weiß ich, wohin er geht: Er hat ein lockeres Brett entdeckt im Holzverschlag, da, wo es zur Treppe in den Bierkeller geht. Das Brett macht er ab und quetscht sich durch. Drunten legt er sich dann unter den Zapfhahn und dreht auf. Ei, wenn der Wirt ihn dabei erwischt, das wird nicht lustig!
Montag ist mein freier Tag, das ist bei den Färbern immer so. Die machen da nämlich blau: Der über Sonntag eingeweichte Stoff wird morgens
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