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Die Tore nach Thulien, Buch I: Dunkle Gassen: Wilderland (German Edition)

Die Tore nach Thulien, Buch I: Dunkle Gassen: Wilderland (German Edition)

Titel: Die Tore nach Thulien, Buch I: Dunkle Gassen: Wilderland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kohlmeyer
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ihres Meisters. Plötzlich wurde sie abberufen und ging zur Seite, den Platz für einen der beiden Schemen freimachend. Der kleinere von beiden war ihr Meister, Shachin erkannte ihn sofort wieder, auch nach all den Jahren. Der andere war ihr unbekannt, doch irgendetwas an ihm störte sie. Der Unbekannte begann mit seinen Übungen, und kaum eine Sekunde später war Shachin plötzlich klar, was sie störte. Er war nicht von hier, gehörte nicht zur Schule. Seine Bewegungen folgten ganz anderen Schemata, auch wenn das Ergebnis dasselbe war. Er focht einen Schattenkampf.
    Nun wusste Shachin, dass sie alles richtig gemacht hatte. Die Dosis des Pulvers war perfekt gewesen. Vor ihr vollführte der Meister aus der Gasse in Leuenburg seine Techniken, und ihr Großmeister hatte die Aufgabe, ihn zu bewerten. Ihr Meister hob plötzlich die Hand. Etwas missfiel ihm. Der andere unterbrach seine Bewegungen und starrte sichtlich erzürnt auf den Großmeister. Shachin sah irritiert zu. Was war hier los? Der Fremde machte eine wegwerfende Handbewegung. Sein Blick war voller Hass. Dann wusste sie, wovon sie eben, und damals unwissentlich, Zeuge geworden war. Es war das Gesuch des Fremden, ein Großmeister zu werden. Ihr Meister beherrschte den Ruf der Eule , eine der zwölf Schattenkampftechniken. Um Großmeister werden zu können, musste man den Meistergrad in allen zwölf Klassen erreichen, und so wie es aussah, hatte der Fremde Pech. Er wurde abgewiesen. Der Ruf der Eule würde ihm nun auf ewig verwehrt bleiben.
    Ein jäher Schmerz durchbrach plötzlich das Bild und die Schemen verzerrten sich zu hässlichen Fratzen. Nichts war mehr vergangene Wirklichkeit, keine alte Realität. Chaos und Unordnung übernahmen die Herrschaft, und die gesamte Szenerie wandelte sich in ein Abbild des Todes. Die Wirkung des Pulvers war erschöpft und die Rückkehr in das Hier und Jetzt setzte sofort und äußerst schmerzhaft ein. Der Geist wurde ohne Vorwarnung regelrecht zurückgerissen. Shachin öffnete die Augen, sie atmete schwer. Noch immer kniete sie, die eine Hand auf dem Felsen ruhend, in der Grotte. Nun wusste sie Bescheid. Sie schätzte, dass es ihr fünfzehnter Winter gewesen war, als der Meister des schwarzen Skorpions darum gebeten hatte, den Ruf der Eule erlernen zu dürfen. Ihr war nicht klar warum, doch hatte der Großmeister diesem Wunsch nicht entsprochen. Wenn dem auch bis heute noch so war, dann musste sie ihrem alten Großmeister wahrscheinlich im Nachhinein noch dankbar sein. Der Ruf der Eule würde die Antwort auf den Stil ihres Gegners sein. Mit ein wenig Glück rechnete er nicht mit dieser, zugegeben etwas eigenwilligen und seltenen, Technik. Shachin erhob sich. So schnell man auf die Schwingen des Raben aufsprang, so schnell fiel man von dort auch wieder herunter. Das flaue Gefühl in ihrer Magengegend würde bald vorbei gehen und dem trockenen Mund war mit etwas Wasser zu helfen.
    Ein paar Minuten später hatte ihr Körper das Gift bereits verarbeitet, und sie begann damit, ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken. Die alte Kapelle war nicht mehr sicher. Der Meister würde sie suchen und letzten Endes auch irgendwann hier nach ihr sehen. Er war wie sie. Er wusste um die Strategien und Verhaltensweisen der Schattenkrieger, und bei der Frage nach einem guten Versteck würde er zwangsläufig dieselbe Idee haben wie sie. Der Ort hier war geradezu verräterisch perfekt für jene, die wussten, wonach sie suchen mussten. Shachin wollte ihre Strategie ändern. Raus aus den Schatten, unter die Leute mischen und am normalen Alltag der Bürger Leuenburgs teilnehmen. Das Versteck in der Menge, in der Anonymität einer großen Stadt wie dieser, suchen. Die Gegend um die Dunkle Gasse wollte sie freilich meiden, doch prinzipiell war Sieben Schänken genau der richtige Nährboden für die Art Leute, unter die sie sich zu mischen gedachte. Morgen sollte die Heuer zur Reise ins Wilderland stattfinden und dann würde sie bis zur Abreise sowieso in der Garnison und damit von der Bildfläche verschwinden. Einzig der Aufbruch machte ihr noch etwas Sorgen. Würde es ein Auszug mit Pauken und Trompeten werden, gar der Herzog mit am Stadttor stehen und die Siedlungswilligen persönlich verabschieden? Sie hoffte nicht. Ohne viel Aufsehens die Stadt verlassen, das war ihre Absicht. Sich die nächsten Wochen keine Gedanken über Verpflegung, Unterkunft und das nächste Ziel machen zu müssen. Für sie war die Reise nur Mittel zum Zweck. Von der

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