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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Geräusche ganz erloschen und er, nun ohne Stütze, wie ein Mann durch die Falltür eines Galgens in Bewußtlosigkeit fiel, erlebte er einen Augenblick, in dem er sich fragte, ob man sich so fühlte, wenn man starb.

    Manchmal hüpfend, häufiger aber wie eine halb zertretene Kakerlake auf einem Fuß und zwei Händen kriechend, weil sein linkes Bein ein neues, knirschendes Gelenk hatte, krabbelte Doyle keuchend und würgend über den regennassen Asphalt, sah nicht einmal die herankommenden Wagen ihre verchromten Nasen neigen, als die Bremsen faßten und die Reifen quietschten. Er konnte die leblos hingestreckte Gestalt in der willkürlichen Haltung achtlos weggeworfener Dinge an der Böschung liegen sehen, und obwohl er sich zu ihr hinquälte, um zu sehen, ob sie unverletzt geblieben sei, wußte er, daß es nicht so sein würde - denn er hatte dieses Ereignis schon einmal im wirklichen Leben durchgemacht, und mehrere Male in Träumen; obgleich sein ganzes Wesen zwischen Angst, Furcht und Hoffnung zu verglühen drohte, wußte er gleichzeitig, was er finden würde.
    Diesmal aber geschah es anders. Statt des erinnerten Breies aus Blut, Knochen, Gehirn und farbig leuchtenden Helmsplittern, der über Straßenbelag und Pfeiler verspritzt war, zeigte sich der Kopf dieser Gestalt noch ganz und auf den Schultern sitzend. Und es war nicht Bessies Gesicht - dies gehörte dem Bettlerjungen Jacky.
    Er richtete sich überrascht auf und sah, irgendwie ohne Überraschung, daß er überhaupt nicht an einer Straßenböschung war - er war in einem schmalen Zimmer, dessen schmutzige Vorhänge sich steif an einem unverglasten Fenster bewegten. Dieses Fenster veränderte ständig seine Form; bald war es rund, schwoll wie ein architektonischer Schließmuskel von der Größe eines Guckloches in einer Tür zu der Größe der Fensterrosette in der Kathedrale von Chartres, bald verformte es sich zu allen Umrissen, die rechteckig genannt werden konnten. Auch der Boden war eigenwillig, hob sich in einem Augenblick empor, so daß er niederkauern mußte, um nicht an die Decke zu stoßen, sank im nächsten wie ein entmutigtes Trampolin tief hinab und bildete eine Grube, aus der er aufwärtsblicken mußte, um das bauchtanzende Fenster zu beobachten. Es war ein unterhaltsames Zimmer.
    Sein Mund war gefühllos und taub, und obwohl der Zahnarzt, der zwei chirurgische Gesichtsmasken trug, so daß seine glühenden Augen alles waren, was Doyle ausmachen konnte, ihm befahl, seinen Mund nicht zu berühren, zog Doyle verstohlen eine Hand, die in einem Pelzhandschuh steckte, über seine Lippen, und war entsetzt, leuchtendrotes Blut auf dem blonden Pelz zu sehen. Ein feiner Zahnarzt, dachte er, und obgleich er sich aus dieser Vision heraus und zurück in den engen kleinen Raum zwang, trug er noch immer die Pelzhandschuhe, und noch immer troff ihm Blut vom Mund. Als er sich vornüberbeugte und gegen die Schmerzen eines weiteren Magenkrampfes zusammenzog, tropfte das Blut auf den Teller und das Besteck, die jemand am Boden liegengelassen hatte.
    Es ärgerte ihn, daß jemand sein Geschirr nicht weggeräumt hatte, doch dann erinnerte er sich, daß dies die Reste seines eigenen Essens waren. Hatte es die Taubheit und die Blutung verursacht? War zersplittertes Glas daruntergemengt gewesen? Er nahm die Gabel und stocherte in den Essensresten auf dem Teller, ängstlich nach scharfen, blitzenden Splittern Ausschau haltend. Aber es war kein Glas darin.
    Was für eine Speise war es überhaupt? Sie roch ein wenig wie Curry, schien aber eine Art Kompott aus Blättern und etwas wie Kiwifrüchten zu sein, nur waren sie hier kleiner und härter und pelziger. Zuerst wußte er nichts damit anzufangen, und seine Gedanken drehten sich im Kreis, doch endlich kam er darüber hinweg und erfuhr einen Augenblick kalter Erleuchtung, als er die ungewöhnliche Frucht erkannte. Er hatte sie schon einmal gesehen, im Botanischen Garten von Nuuanu auf Hawaii, an einem großen Baum, dessen wissenschaftlicher Name ihm nicht entfallen war: Strychnos Nux Vomica, die reichste Quelle rohen Strychnins.
    Er hatte Strychnin gegessen.
    Das Wasser roch fürchterlich und weckte Vorstellungen von brackigen Gezeitentümpeln, in denen halbverweste Fischkadaver und faulende Algen schwammen, aber der Bürgersteig wimmelte von fröhlichen Leuten in bunten Badeanzügen, und Doyle war froh zu sehen, daß am Imbißstand keine Schlange wartete. Er taumelte hoch zum schmalen Fenster und schlug seine Münze auf den

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