Die Tore zu Anubis Reich
Dundee rieb sich die Augen und strich sich über das lockige braune Haar. »Es ist wie mit einem neuen Wagen, das ist alles«, murmelte er. »Bis er die erste Delle weg hat, regt man sich über jede Kleinigkeit auf.«
»Für solch einen gesunden jungen Burschen sehen Sie entschieden verwelkt aus«, bemerkte der alte Mann, legte seine schwarze Tonpfeife aus der Hand und griff zur Brandykaraffe. Er trank eine furchterregende Menge davon in sich hinein, als sei es Wasser.
»Ja, ich schlafe nicht allzu gut«, räumte Dundee ein. »Da ist ein Traum, den ich immer wieder habe...«
»Von den Träumen müssen Sie wegkommen, mein Junge, da tut Distanz not. Ich nehme an, daß ich die ganze Zeit träume, und wenn ich den Träumen jemals Beachtung schenke, wäre ich inzwischen bestimmt im Tollhaus, mit Schaum vor dem Mund. Ich habe irgendwie ein kleines bißchen von... von meinem Verstand abgespalten, das die Träume bewacht, also stören sie mich nicht weiter.«
»Das klingt gesund«, sagte Dundee mit einem verzagten Nicken. »Ja, das klingt fein.«
Sein Gefährte, dem die Ironie entging, nickte selbstzufrieden. »Okay, man gewöhnt sich daran. Nach ein paar weiteren Sprüngen werden Sie den Träumen nicht mehr Beachtung schenken als dem Staub, die Ihre Räder auf der Landstraße hinter Ihnen aufwirbeln.«
Dundee schenkte sich vom Brandy ein, fügte Wasser aus einer anderen Karaffe hinzu, und nahm einen Schluck. »Haben Sie schon entschieden, wohin Sie von hier gehen werden?« Er machte eine unbestimmte Handbewegung zu dem alten Mann.
»Ja, ich denke, ich werde Mr. Maturo aus seiner Haut vertreiben - Ihren Anonymus. Er speist sehr häufig in seinem Stammlokal, und es sollte keinerlei Schwierigkeiten bereiten, eines Abends in einer Woche oder so die aus den Angeln hebenden Kräuter in sein Essen zu tun.«
»Maturo? Der Bursche, der Sie aufhängen wird? Nach dem Bericht in Robbs Aufzeichnungen scheint er ungefähr fünfzig Jahre alt zu sein.«
»Richtig, ist er, und ich werde nicht länger als die notwendige Woche in ihm bleiben - aber um nichts in aller Welt möchte ich mir seinen Gesichtsausdruck entgehen lassen, wenn er in dem Augenblick, bevor er das Faß unter dem Galgen wegstößt, sich selbst darauf stehen sieht, mit dem Strick um den Hals, und mich in seinem Körper, der ihn von unten angrinst.«
Dundee schauderte. »Gott hab ihn selig«, sagte er.
Durch die relativ schneefreie Ablaufrinne in der Mitte der Straße trabte energisch ein kleinwüchsiger Mann dahin und stieß wie eine schwerarbeitende Dampfmaschine weiße Wolken von sich, während er sich zwang, eine zehn Pfund schwere Schachtel voll Rosinen am ausgestreckten Arm in einer Hand zu tragen. Nach zwanzig Schritten wechselte er die Schachtel zur anderen Hand und schwenkte den freigewordenen Arm, um ihn zu lockern. Seine kräftigen Schultern und der ermüdungsfreie Schritt ließen erkennen, daß Körperertüchtigung für ihn mehr als ein flüchtiger Einfall war, der ihm erst diesen Nachmittag in den Sinn gekommen war.
Weihnachten stand vor der Tür, und trotz des Schnees waren zahlreiche Leute auf der Straße, eingehüllt in Mäntel und Hüte und Schals, und ein paar Jungen und ein Hund tobten mit einem Schlitten herum. Von Zeit zu Zeit ratterte das Fuhrwerk eines Kleinhändlers vorbei, und der Rauch aus der Pfeife des Kutschers und der dampfende Atem des Pferdes vermischten sich in der Luft, und der trabende Sportsfreund mußte ausweichen. Kamen sie von rückwärts, schien er sie nie zu hören, bis sie ihn beinahe überfuhren, und er war bereits so viele Male angeschrien worden, daß er, wenn er wieder einen Fluch oder Ausruf hinter sich hörte, einfach zur Seite sprang, ohne zurückzublicken.
Diesmal aber wurde der Ruf wiederholt: »He, Doyle!«
Der kleine Mann blickte über die Schulter, dann verlangsamte er seinen Trab zum Schritt und blieb schließlich stehen, denn ein magerer, schnurrbärtiger Straßenjunge winkte ihm und stapfte durch die Schneehaufen am Straßenrand auf ihn zu.
»Doyle!« rief der junge Bursche. »Ich habe deinen William Ashbless gefunden! Diese Woche ist im Courier ein Gedicht von ihm veröffentlicht!«
Der Mann wartete, bis der Junge bei ihm war. »Ich fürchte, du hast den Falschen erwischt«, sagte er. »Ich heiße nicht Doyle.«
Der Junge blickte verwirrt und trat zurück. »Oh, Verzeihung, ich...« Dann neigte er den Kopf auf die Seite. »Doch, es muß sein.«
»Ich müßte es wissen, oder? Ich bin nicht dein
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