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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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den stärksten Eindruck von der Parade.
    Das behelmte, schwarzbärtige Antlitz, das einem Schwindler gehörte, war nicht weniger eindrucksvoll als die anderen; und obwohl viele Leute in der Menge, die beiderseits der Straße in dichtgedrängten Reihen stand oder aus den Fenstern herabspähte, den Schuhflicker Eshvlis kannten, dessen Geschäftslokal eine Nische in der Außenwand einer zwei Blocks entfernten Moschee war, war er in dem goldziselierten Brustharnisch des Mameluckenbeys Amin einfach nicht wiederzuerkennen.
    Und niemand unter ihnen wußte, daß Eshvlis sogar in seiner alltäglichen Arbeit als Schuhflicker ein Schwindler war - daß er, bevor er diesen Namen angenommen und sich Haar und Bart schwarz gefärbt hatte, auf den Namen Brendan Doyle gehört hatte.
    In den vergangenen Monaten hatte er sich daran gewöhnt, Eshvlis zu sein, doch war er in dieser Rolle, die er heute angenommen hatte, alles andere als selbstsicher und wandte das Gesicht ab, wann immer er in der Menge einen seiner Kunden bemerkte. Die Verkörperung, der er an diesem Morgen so freudig zugestimmt hatte, begann ihn nervös zu machen - war es, so fragte er sich, ein Verbrechen, am Bankett des Paschas teilzunehmen, in dem man sich als einer der geladenen Gäste verkleidete? Wahrscheinlich. Hätte sein Freund Amin nicht auf den Erfolg des Täuschungsmanövers gezählt, so würde Doyle dem gemieteten Pferd die Sporen gegeben haben, aus dem Reiterzug ausgebrochen sein, sich des Schwertes, der Dolche und feinen Kleider entledigt haben und zurück zu seiner Schuhflickernische geschlichen sein, um sich aus bequemer Distanz des Schauspiels zu erfreuen.
    Im Vorbeireiten blickte er zu seiner Nische, und obwohl er an Bord eines Schiffes, das morgen den Anker lichten würde, eine Passage gebucht hatte, war er überrascht und ärgerlich, einen anderen Schuhflicker dort in einem Nest von Schuhen sitzen zu sehen. Man brauchte nur einen Vormittag abwesend zu sein, dachte er bitter, und schon machte sich die Konkurrenz breit.
    Ein Stück voraus lag der Platz, wo er Amins Bekanntschaft gemacht hatte. Die Erinnerung an jenen heißen Oktobermorgen, der schon schlecht angefangen hatte, als Hassan Beys Schuhschnalle während eines Treffens mit dem britischen Gouverneur abgebrochen war, entlockte Doyle ein grimmiges Lächeln.
    Das demütigende Mißgeschick hatte die augenblickliche Beendigung des Gesprächs verursacht, und Hassan hatte die Zitadelle mit seinen Schwägern Amin und Hathi verlassen, und sie waren zu ihrem Boot nach Bulak zurückgeritten, doch war hier auf diesem Platz an der Musteh ein weiteres Mißgeschick passiert: der große, kräftig gewachsene Bettler namens Eshvlis, dessen großes, holzgerahmtes Plakat ihn als einen Taubstummen auswies, war ein wenig langsam auf die Füße gekommen und den Mamelucken nicht schnell genug ausgewichen; eine aus seinem Plakatrahmen ragende Nagelspitze hatte sich in Hassans besticktem Umhang verfangen und einen langen Riß darin hinterlassen, der zu allem Überfluß den Oberschenkel des empörten Beys entblößt hatte.
    Hassan hatte einen mörderischen Fluch gebrüllt, den mit Elfenbein eingelegten Griff seines Krummsäbels gepackt, blankgezogen und in einem zischenden, rumpfspaltenden Hieb nach dem Bettler geführt.
    Aber Doyle hatte sich ebenso schnell auf alle viere in den Staub fallen lassen, so daß die Klinge zwar sein Bettlerschild zerschmetterte, aber harmlos über ihn wegfuhr und seinen Kopf um mehrere Zoll verfehlte; und ehe der überraschte Mamelucke den Krummsäbel wieder hochreißen konnte, schnellte Doyle zu ihm hinauf, riß ihm einen der Dolche aus dem Gürtel und parierte damit den schwächeren Rückhandschlag des Krummsäbels.
    Darauf zügelte Hathi sein Pferd so scharf, daß es sich aufbäumte, und hob zugleich den Lauf seines im Futteral steckenden Gewehrs in Hüfthöhe; und ehe Amin ihn daran hindern konnte, drückte er ab.
    Mit einem Krachen, das von den Häusern rings um den Platz in mehrfachen Echos zurückschlug, flog das Gewehr, vom Rückstoß getrieben, halb aus dem Futteral; Hathis kampfgewohntes Pferd scheute nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und schnaubte in der Wolke aus Pulverrauch. Doyle machte einen Überschlag rückwärts und landete mit dem Gesicht auf dem Pflaster, und ein naßglänzendes rotes Loch im Rücken seines zerschlissenen Kaftans verschwand rasch, als ausströmendes Blut das Gewebe ringsum durchtränkte.
    »Ihr schändlichen Strolche!« schrie Amin. »Er war ein

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