Die Tore zu Anubis Reich
den Vorhang aus Zeltbahnen abgeschirmt war. Die beiden Kutschen fuhren bis zum Zaun, und Doyle konnte den Lastwagen sehen, dessen Seitenverkleidung heruntergeklappt war. Eine hölzerne Plattform, nur dreißig Zentimeter hoch, aber mehr als ein Dutzend Schritte lang und breit, war neben dem Lastwagen, aber innerhalb des Zauns errichtet, und sie dröhnte und rumpelte wie ein Dutzend Landsknechtstrommeln, als die Kutscher ihre Zugpferde hinauftrieben. Mehrere Männer, die in ihren Arbeitsanzügen von 1983 bereits anachronistisch aussahen, errichteten mit raschen, eingeübten Bewegungen Aluminiummasten und zogen eine steife und offensichtlich schwere Zeltbahn darüber, so daß die zwei Kutschen samt ihren Zugpferden bald in einem großen, würfelförmigen Zelt standen. Die Innenwand schimmerte matt im Schein der Lampen, und Doyle beugte sich hinaus, um das Material mit den Fingerspitzen zu berühren.
»Ein Spezialgewebe mit eingearbeiteten verbleiten Stahlfäden«, sagte Benner. Im eingeschlossenen Raum klang seine Stimme lauter. »Das gleiche Material, aus dem mein Umhang und die Kapuze gemacht waren«, fügte er etwas leiser hinzu. »Auch der Lastwagen ist auf drei Seiten davon umgeben.«
Doyle gab sich Mühe, Benner nicht erkennen zu lassen, wie seine Hände zitterten. »Gibt es einen Knall oder was?« fragte er so gleichmütig es ihm möglich war. »Werden wir eine Erschütterung oder Druckwelle spüren?«
»Nein, man fühlt eigentlich gar nichts. Nur... Verwirrung.«
Doyle hörte die Passagiere in der Kutsche unter ihnen flüstern, und aus der anderen drang Darrows Lachen. Eines der Pferde stampfte auf die Plattform, daß es dröhnte.
»Worauf warten wir?« flüsterte Doyle.
»Wir müssen den Technikern Zeit zum Verlassen des Grundstücks geben.«
Obwohl die Kutschen still standen, war Doyle übel, und der metallische Geruch des eigentümlichen Zelts wurde ihm unerträglich. »Ich sage es ungern«, flüsterte er, »aber dieser Geruch ist...«
Auf einmal veränderte sich etwas, heftig aber ohne Bewegung, und was er sehen konnte, war ohne jede Wahrnehmung von Tiefe und Raum, so daß er nur ein eindimensionales Halbdunkel vor Augen hatte, da und dort von nichtssagendem Lichtschein erhellt; das Geländer auf dem Wagendeck, woran er sich festhielt, war seine einzige Orientierung - es gab weder Norden noch Süden, kein Oben und Unten, und er sah sich wieder in den Traum zurückversetzt, aus dem die Stewardeß ihn vergangene Nacht geweckt hatte, fühlte die alte Honda auf dem nassen Asphalt unter sich wegrutschen und ihn mit erschreckender Geschwindigkeit horizontal davonschleudern, hörte Rebeccas Schrei beim ersten Aufschlag auf die Straßendecke plötzlich abbrechen...
Die hölzerne Plattform war ein Stück unter ihnen abgesunken und zerbrach, als die vier Pferde und zwei Kutschen sich darauf niedersenkten. Der Untergrund war nicht mehr eben, und die Zeltstangen kippten einwärts und begruben Augenblicke später alles unter den schweren Falten des metallverstärkten Gewebes.
Doyle begrüßte den Schmerz, als eine der Stangen vom Kutschendach abprallte und gegen seine Schulter schlug, denn er stellte das Hier und Jetzt für ihn her. Wenn es schmerzt, muß es die reale Welt sein, dachte er benommen und schüttelte die allzu lebhafte Erinnerung an den Motorradsturz ab. Der Geruch, der ihm so zuwider war, erreichte eine neue Intensität, denn ein Teil des eingestürzten Zeltdaches drückte seinen Kopf auf das Wagendach. Und er sagte sich, daß wahrscheinlich nichts geeignet sei, einen enger mit der umgebenden Realität zu verbinden, als eine kräftige Übelkeit.
Als er schon glaubte, die Übelkeit werde sich von einem Augenblick zum anderen in einem Erbrechen entladen, wurde das Zeltdach von ihm gezogen, und die frische Nachtluft, die ihm nun in Mund und Nase drang, ließ die Vorstellung des Erbrechens wehleidig und affektiert erscheinen. Er blickte umher und sah eine von hohen Bäumen umgebene mondbeschienene Wiese, auf der die Kutschen standen.
»Alles in Ordnung, Brendan?« sagte Benner zum, wie Doyle erkannte, zweiten Mal.
»Ja, klar, alles in Ordnung. Gott, welch ein Sprung, nicht? Sind alle anderen wohlauf? Wie ist es mit den Pferden?« Doyle war stolz auf sich, daß er imstande war, in ruhigem Ton solch geschäftsmäßige Fragen zu stellen, obwohl er merkte, daß er etwas zu laut sprach und seine Worte mit allzu heftigen Kopfbewegungen begleitete.
»Nur keine Aufregung«, sagte Benner. »Alles ist glatt
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