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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Wachses - die Versteigerung war zu Ende. Der Gewinner stand auf, um die Papierarbeit zu erledigen, mehr überrascht als erfreut, daß sein letztes Gebot das letzte von allen gewesen war.
    Doyle blickte zur Uhr und verspürte ein winziges kaltes Erdbeben in der Brust - es war fünfunddreißig Minuten nach zehn. Sein Blick ging durch den Raum, aber kein großer blonder Mann war unter den Anwesenden, mit oder ohne den wuchernden Bart, der Ashbless nach zeitgenössischen Augenzeugenberichten zierte. Verdammt, dachte Doyle; der Satanskerl hat sich verspätet. Könnte ich ihn während der letzten paar Minuten übersehen haben? Nein, es ist nicht anzunehmen, daß er bloß hereinschauen und wieder fortgehen würde; nach allem, was man weiß, soll er sich niedersetzen und die verwünschten »Zwölf Stunden der Nacht« schreiben.
    Und das Gedicht ist immerhin ein paar hundert Zeilen lang.
    Sein Gesicht war heiß, und sein Mund schmeckte fiebrig. Getrieben von der Überlegung, daß er um jeden Preis vermeiden müsse, hier und jetzt ohnmächtig zu werden, bestellte er für zwei kostbare Pennies ein kleines Stout, Als es kam, zeigte die Uhr zwanzig vor elf, und obwohl er langsam zu trinken versuchte, wie es sich für ein Stärkungsmittel ziemte, war das Glas leer, als die Uhr das dritte Viertel anzeigte, und er fühlte den Alkohol von innen gegen die Wände seines Schädels drücken - weil er seit vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte -, und Ashbless war noch immer nicht gekommen.
    Reiß dich zusammen! dachte er. Kaffee, kein Bier mehr. Hat sich eben ein wenig verspätet, der Schwerenöter; die Notiz über sein Eintreffen war älter als ein Jahrhundert, als du sie zu lesen bekamst - und sie beruhte auf Ashbless' Erinnerung, wie Bailey sie nach 1830 aufzeichnete. Kleine Ungenauigkeiten sind kaum überraschend. Es mag tatsächlich elf Uhr dreißig gewesen sein. Ja, es muß elf Uhr dreißig gewesen sein! Er beschloß zu warten. Drei sorgfältig gehütete Tassen Kaffee später schlug die Uhr elf Uhr dreißig, und von William Ashbless war noch immer nichts zu sehen.
    Die Geschäfte der Waren- und Schiffsmakler nahmen ihren lebhaften Fortgang, und einmal bestellte ein beleibter Herr, der eine Plantage auf den Bahamas mit enormem Gewinn verkauft hatte, für alle Anwesenden eine Runde Rum, und Doyle schüttete das Zeug dankbar durch seine fiebrige Kehle.
    Und er begann zornig zu werden. Dies zeigte wahrhaftig, wie ihm schien, eine Nachlässigkeit von Seiten des Dichters, eine Nichtachtung seiner Leser. Welche Arroganz, zu behaupten, er sei um halb elf hier gewesen, wenn er in Wirklichkeit nicht vor... mal sehen - um zehn vor zwölf noch nicht gekommen war. Was kümmert es ihn, ob andere Leute seinetwegen warten müssen? dachte Doyle benebelt. Er ist ein berühmter Dichter, ein Freund von Coleridge und Byron. Doyle stellte sich das Aussehen des Mannes vor, und Fieber und Erschöpfung verliehen dem Bild eine fast halluzinatorische Klarheit - die breiten Schultern, das kantige Gesicht, eingerahmt von blonder Löwenmähne und Wikingerbart. Bisher war ihm dieses Gesicht, wie Hemingways, im Grunde humorvoll und auf eine verbissene Art und Weise gesellig vorgekommen, jetzt aber sah es nur grausam und unnahbar aus. Wahrscheinlich ist er draußen, dachte Doyle, wartet, daß ich tot umfalle, bevor er einzutreten und sein verdammtes Gedicht zu schreiben geruht, der Schinder.
    Ihm kam ein Gedanke, und er hielt einen Jungen an und ließ sich einen Bleistift und ein paar Bogen Papier bringen. Dann begann er aus dem Gedächtnis den gesamten Text der »Zwölf Stunden der Nacht« niederzuschreiben. Bei der Abfassung des ersten Artikels über Ashbless' Werk und später beim Schreiben der Biographie hatte er das Gedicht Hunderte von Malen gelesen, und trotz seiner fiebrigen Benommenheit fiel es ihm nicht schwer, sich an jedes Wort zu erinnern. Um halb eins brachte er die etwas unbeholfenen letzten acht Zeilen zu Papier:

Ein breiter Strom fließt, düster anzuschaun,
    Vom Abendrot zum ersten Morgengraun.
    Die dunklen Meilen seiner Bahn sind Stunden,
    Hier hat noch keiner den Rückweg gefunden.
    Jenseits der Furcht, dem Untergang geweiht,
    Fort reißt den Reisenden der Fluß der Zeit,
    Wo Finsternis wie grelles Licht ihm wacht,
    Durch die zwölf Stunden der Nacht.
    Da, dachte er und ließ den Bleistift auf den Tisch fallen. Wenn dieser Flegel jetzt endlich kommt, seine historische Verabredung einzuhalten, werde ich ihm dies in die Hand drücken - und

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