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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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müde.« Er lächelte friedlich. »Und ich kann mir keine... angenehmere Art und Weise denken, meine letzten Minuten zu verbringen, als auf einer Bootsfahrt mit einer jungen Dame.«
    Jacky schrak zusammen. »Du... weißt es?«
    »Ach, ich hab's schon lange gewußt, Mädchen. Du bist auch dieser Jacky, der mit dem falschen Schnurrbart. O ja.« Er schloß die Augen.
    Jacky starrte in Schrecken und Faszination auf den stillen Zwerg. Das Floß trieb kreiselnd und von Zeit zu Zeit gegen die Mauern stoßend in der Strömung des Kanals. Als sie glaubte, daß er tot sei, fragte sie leise: »Bist du wirklich sein Vater?«
    Sie war bestürzt, als er antwortete. »Ja, Mädchen«, sagte er mit schwacher Stimme. »Und ich kann ihm wirklich nicht verdenken, daß er mich so behandelte. Ich hatte es nicht besser verdient. Jeder, der... seinen eigenen Sohn verändert, nur um den Jungen zum Bettler geeigneter zu machen... ja, ich habe es alles verdient, gewiß.« Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. »Und ob der Junge es mir heimzahlte! Er übernahm meine Bettlerarmee, und dann schleifte er mich durch das Krankenhaus im Keller... viele, viele Male... ja, ich war einmal groß.« Er stockte, seufzte, und sein linker Absatz schlug krampfhaft und wie unter Protest einige Male aufs Holz. Jacky hatte jetzt zwei Menschen sterben sehen.
    Da sie sich an Tays Voraussage erinnerte, daß Männer vorausgeschickt würden, um sie am Unterlauf des Kanals abzufangen, wartete Jacky nicht, bis das Floß eine der Anlegestellen stromabwärts erreichte, sondern ließ sich ins Wasser. Es war kalt, aber der unterirdische Kanal floß jetzt träger und führte weniger Wasser als bei ihrem Bad am Samstagabend, und hatte auch etwas von seinem eisigen Biß verloren. Kurze Zeit später hielt sie sich noch am treibenden Floß fest. »Ruhe in Frieden, Teobaldo«, sagte sie, dann stieß sie sich ab.
    Sobald sie Achmeds durchnäßtes Gewand ausgezogen hatte, fiel es ihr nicht schwer, gegen die Strömung zu schwimmen, und bald hatte sie das Floß und seine Fackel hinter sich gelassen und schwamm in der Dunkelheit stromaufwärts. Es war jedoch keine bedrohliche Dunkelheit, und Jacky wußte instinktiv, daß der tiefere Fluß, auf dem sie das Boot »gesehen« hatte, keine Verbindung mit diesem Kanal hatte - vielleicht nicht einmal mit der Themse.
    Stimmen hallten durch den Tunnel: »Wer, zum Teufel, war es? Was sagte er?«
    »Der alte Dungy und dieser Inder.«
    »Na, Petes Jungen werden sie an der Anlegestelle unterhalb Covent Garden abfangen.« Gelber Lichtschein glänzte auf dem Wasser und an den nassen Wänden, tastete vor ihr über die Decke. Dann kam sie leise weiterschwimmend um eine Biegung und konnte weit voraus die Anlegestelle sehen, wo sie das Floß bestiegen hatte. Mehrere Männer standen jetzt dort, alle mit Fackeln in den Händen, doch schien Horrabin nicht unter ihnen zu sein. Ihre Stimmen trugen weit durch den Tunnel.
    »Sie müssen verrückt sein«, bemerkte einer. »Oder vielleicht dachten sie, der Inder hätte einen besseren Zauber. Wird interessant sein, zu hören, was sie sagen - au! Verdammt, wie kommt eine Biene hierher?«
    »Himmel, da ist noch eine! Kommt mit, hier gibt es nichts zu tun. Gehen wir nach oben und sehen wir zu, wie sie die beiden bringen. Das wird was geben - Horrabin hat die Öffnung des Krankenhauses befohlen.«
    Die Männer gingen, im Tunnel wurde es dunkel; sekundenlang glomm noch orangefarbener Schein aus dem gewölbten Gang, dann, als die Fackeln in die Halle getragen wurden, erlosch auch er in der gleichförmigen Finsternis. Jacky schwamm gleichmäßig gegen die leichte Strömung weiter und auf die Stelle zu, die sie sich eingeprägt hatte; sie vermied es sogar, den Kopf zu wenden, als der falsche Bart sich löste und von der Strömung fortgetragen wurde. Einige Minuten später streifte ihre Hand die eichene Stoßplanke der Anlegestelle. Sie zog sich hinauf und blieb auf der steinernen Pier sitzen, bis sie zu Atem gekommen war. Bis auf eine leichte Kniehose und ein dünnes Hemd, die sie unter ihrer Bettlertracht getragen hatte, war sie unbekleidet, und als sie das Haar aus dem Gesicht strich, bemerkte sie, daß ihr Schnurrbart mit dem Bart verlorengegangen war.
    Dies war kein Kostüm, in dem sie unbemerkt aus der Rattenburg schlüpfen konnte.
    Ängstlich tappte sie durch den gewölbten Gang und vermißte den Dolch. In der Stille surrte irgendwo eine Biene. Der lange Gang war offenbar leer, und als sie ihn auf leisen

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