Die Tore zu Anubis Reich
Sohlen durchwanderte, blieb sie immer wieder stehen, um in beide Richtungen zu lauschen, vor allem nach rückwärts.
Sie erstieg eine Reihe steinerner Stufen zu einem geräumigen Absatz und berührte im Herumtasten die hölzerne Oberfläche einer Tür. Am Rahmen oder zwischen den Brettern war nicht der geringste Lichtschimmer zu sehen, also war der Raum dahinter entweder so dunkel wie der Treppenabsatz, oder dies war eine ungewöhnlich massive und dichtschließende Tür.
Sie drückte auf die Klinke - es war nicht zugesperrt! - und öffnete die Tür Zoll für Zoll. Kein Licht drang heraus, auch kein Geräusch, also schlüpfte sie eilig hinein und schloß die Tür leise hinter sich.
Sie konnte kein Licht machen, selbst wenn sie es gewagt hätte, und erkundete den Raum durch Ertasten, indem sie zuerst der Wand entlang den vier Seiten des kleinen Raumes folgte, bis sie wieder zur Tür gelangte, und dann eine vorsichtige Diagonale durch die Mitte zog. Das Mobiliar bestand aus einem sauber gemachten schmalen Bett, einer Kommode mit einigen Büchern darauf, einem Tisch, auf dem Jackys behutsam tastende Finger eine Flasche und einen Becher fühlten - sie roch am Becher: scharfer Gin - und, in der Ecke, einen Stuhl, auf dem - und Jacky dankte Gott, als sie die Gegenstände durch Befühlen identifizierte - ein kurzes Kleid, eine Perücke, ein Schminkkasten und ein Paar abgetragene Damenschuhe bereitlagen.
Es kam, dachte sie, einem absoluten Wunder gleich, daß ihr diese Kleider sozusagen auf den Weg gelegt worden waren. Dann fiel ihr ein, daß der alte Teobaldo gesagt hatte, er habe Befehl erhalten, diesen Abend eine Galavorstellung zu geben: dies mußte sein Zimmer sein, und offenbar hatte er das Kostüm zurechtgelegt, ehe er beschlossen hatte, den Tod zu suchen. Obwohl sie nicht sehen konnte, blickte sie neugierig in der Finsternis umher und wünschte, sie könnte sehen, was das auf der Kommode für Bücher waren.
Len Carrington setzte sich ins Vorderzimmer und tat einen kräftigen Zug aus seiner Taschenflasche. Es kümmerte ihn nicht, wer ihn sehen mochte. Gar zu gern hätte er gewußt, warum er plötzlich zum Stellvertreter des Clowns ernannt worden war, was verschiedene Aufgaben mit sich brachte, die er nun gleichzeitig zu lösen hatte: es galt den zornigen Dr. Romany zu besänftigen, die unbefriedigenden Meldungen zu bewerten, die alle paar Minuten von der Mannschaft, die den beiden Flüchtigen nachjagte, übermittelt wurden, und dem tobenden Horrabin - der in einer Hängematte ächzte, offensichtlich bedeckt mit schlimmen Brandwunden - zu versichern, daß alle Schritte unternommen würden, die Situation zu bereinigen. Carrington verstand nicht mal, wie die Situation war. Er hatte gehört, daß der tanzende Zwerg versucht haben sollte, den Clown umzubringen, und dann ausgerechnet mit einem Inder durch den unterirdischen Abzugskanal geflohen sei, aber wenn es sich so verhielt, warum war Dr. Romany, Gott mit ihm, nur daran interessiert, mit dem Inder zu sprechen?
Jemand kam die Kellertreppe herauf. Carrington erwog die Idee, aufzustehen, ließ es aber sein.
Um das Maß der Ungereimtheiten voll zu machen, zeigte sich, daß es eine Frau war. Ihr Haar glich dem Nest eines Nagetiers, und das Kleid paßte ihr wie eine um einen Hutständer gebundene Plane, aber ihr Gesicht, unter einem dicken Geschmier von Puder und Schminke war hübsch.
»Man sagte mir, ich solle unten nach Horrabin suchen«, sagte sie so ruhig, als wäre das Auftreten einer Frau in der Rattenburg nicht ebenso unerhört wie das eines Pferdes in der Kathedrale von Westminster. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Nein«, sagte Carrington und kam auf die Füße. »Er ist... unpäßlich. Was, zum Kuckuck, tust du hier?«
»Ich bin von Katie Dunnigan, die alle Häuser um Piccadilly herum leitet, und ich soll eine Besprechung vereinbaren - anscheinend will sich dieser Horrabin einkaufen.«
Carrington schaute sie verdutzt an. Soviel ihm bekannt war, hatte der Clown sich noch nie mit Hurenhäusern abgegeben, aber es war sicherlich etwas für ihn. Und es war unvorstellbar, daß ein junges Mädchen ohne solch einen Grund in die Rattenburg kommen würde. Mit den beiden Flüchtlingen konnte sie jedenfalls nichts zu tun haben. »Also, ich fürchte, du kannst ihn jetzt nicht sprechen. Solltest lieber gehen - und sag dieser Dunnigan-Frau, daß sie nächstesmal einen Mann schicken soll! Du kannst von Glück sagen, wenn du weniger als ein Dutzend Male vergewaltigt
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