Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
etwas wie Bedauern, dass er nicht etwas eindrucksvollere letzte Worte gewählt hatte.
Der Gedanke verblasste jedoch, als er kraftlos die Hände hob, die Handgelenke des Piraten umklammerte und die Schwertklinge eine Haaresbreite vor seinem Gesicht festhielt. Die Geste war vergeblich, das wussten sowohl Lenk als auch sein Gegner; seine Arme zitterten, und er spürte an seinen Fingern weder die Haut noch das Metall, das sie versuchten zurückzuhalten. Seine Lungen schienen noch vor ihm aufzugeben, denn der Atem strömte kurz und rau aus seiner Kehle.
Lenk biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und spürte, wie seine Arme nachgaben.
Nein!
Der Gedanke dauerte nur einen Herzschlag an; der Moment schien als Tropfen auf der Klinge des Piraten zu existieren, wo er eine Ewigkeit zu baumeln schien. Lenks Atem wurde kalt in seinen Lungen, sein Blut gefror ihm in den Adern, und die Zeit mit ihm.
Kämpfe!
Die Muskeln unter seiner Haut spannten sich nicht an, sondern schienen sämtliche Kraft an die eisigen Finger zu verlieren, die durch seinen Körper krochen. Während er tief die kalte Luft einatmete, spürte er, wie die Gefühllosigkeit seine Arme hinauf und in seine Brust zog.
In seinen Verstand.
Wehr dich!
Der Gedanke wurde stärker, lauter bei jedem Zucken seiner Hände, bei jedem Fingerbreit, den er der Klinge nachgab. Er hallte durch seinen Kopf, in seine Brust und in einen Arm, der unwillkürlich das Handgelenk seines Gegners losließ und nach seinem am Boden liegenden Schwert tastete.
Selbst mit geschlossenen Augen konnte er sehen, wie der Tropfen des Momentes vom Schwert seines Gegners fiel.
Er spürte ihn fallen.
»TÖTE!«
Hinter seinen geschlossenen Lidern flammte es blau auf, erbarmungslos und eiskalt. Fremde Augen schienen in ihn hineinzustarren. Zähne, die nicht ihm gehörten, wurden zusammengebissen. Finger, die nicht die seinen waren, packten einen Griff. Der Gedanke schoss ihm nicht durch den Kopf und flüsterte nicht in seinem Inneren.
Der Gedanke hatte eine Stimme.
Er sprach.
Lenk spürte, wie sich etwas bewegte. Ein kalter Luftzug wehte ihm das Haar um das Gesicht. Er öffnete die Augen und blickte auf die lange stählerne Klinge eines Schwertes, von dem er sich nicht erinnern konnte, es geschwungen zu haben, auf den Lebenssaft, der darüberquoll, und auf dem sich der Schock des fassungslosen Klippenaffen schonungslos abzeichnete.
Er sah hoch, genauso überrascht wie sein Widersacher, und erwiderte den Blick des Mannes. In ihm lag keine Furcht, nicht der Moment vergeblicher Hoffnung und erlöschenden Lebens. Der Pirat starrte ihn mit einem Blick an, der nichts reflektieren konnte. Der Hieb war zu schnell gekommen, um ihm auch nur das Privileg eines mit Entsetzen registrierten Todes zu gewähren.
Unfair, formten seine Lippen.
Dann fiel er auf die Planken.
Die Betäubung wich nicht aus Lenks Gliedern, sondern sickerte in seinen ganzen Körper, so wie Wasser in der Erde versickert. Er fühlte sich plötzlich schwach, spürte weiche Beine unter einem unerträglich schweren Körper, einen widerlich warmen Atem, der in seiner Kehle rasselte.
Er stand langsam auf. Allmählich fühlte er die Sonne wieder, hörte den Lärm des Kampfes. Aber die Wärme war schwach, und die Geräusche waren gedämpft. Die Kälte dagegen
spürte er, war sich ihrer bewusst wie seines eigenen Körpers. Sie versickerte, löste sich im Blut auf, das allmählich wieder wärmer durch seine Adern strömte, und ließ nur einen einzelnen Gedanken zurück, dem sie eine Stimme gab.
»Mehr.«
»Was?«, keuchte er. Seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren.
»Mehr.«
»Ich … Ich verstehe nicht …«
»MEHR, DU IDIOT! ES KOMMEN MEHR!«
Argaols Schrei drang vom Ruder herüber. Lenk sah dorthin. Vier Seeleute kämpften mit zwei Klippenaffen und versuchten verzweifelt, die säbelschwingenden Piraten mit ihren Stäben von ihrem Kapitän fernzuhalten. Dieser starrte Lenk an und deutete auf die Reling.
Natürlich brüllte er, wie er es normalerweise tat, wenn er sich an ihn wandte, aber Lenk hörte ihn nicht. Das war auch nicht nötig, denn er sah, wie zwei weitere Tätowierte von einer Enterkette auf das Deck sprangen. Statt sich jedoch ins Gewühl zu stürzen und ihren Kameraden zu helfen, sahen sie sich verschlagen um und machten sich augenblicklich mit gierigen Blicken und nackten Füßen auf den Weg zum Niedergang.
Der Unparteiische.
»Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt …«
Er fluchte bei jedem
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