Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
wäre, jetzt zurückzugehen, zu der Sicherheit der Wut und der Vorhersehbarkeit des Blutvergießens. Es wäre besser, umzukehren, sich in der Sicherheit des Wissens zu wiegen, dass es keine anderen Rhega mehr gab, dass sein Vater, seine Partnerin und seine Kinder alle verschwunden waren.
Es wäre besser zu vergessen, dass er jemals gehofft hatte.
Dennoch schob er den Zweig zur Seite.
Auf der Lichtung begrüßte ihn das Murmeln eines Flusses, und gedämpftes Sonnenlicht drang zwischen den Zweigen hindurch. Die Erde war feucht, aber fest und grün unter seinen Füßen. Sie presste sich fast liebevoll gegen seine Sohlen, als hieße sie ihn nach einer Reise willkommen, die so endlos gewesen war, dass nur die Erde sich noch an ihn erinnerte.
Sie kannte seine Füße.
Das Wasser begrüßte ihn fröhlich, schwappte bis zu seiner Taille hoch, als er durch den flachen Fluss zu dem grünen Erdhügel watete, der in seiner Mitte lag. Es kicherte, sprang hoch, um nach ihm zu schnappen, versuchte ihn einzuladen zu schwimmen, wie er es einst getan hatte, bevor er wusste, was Wut war.
Das Wasser kannte ihn.
Er bückte sich und tauchte eine Hand in den Fluss, als wollte er ihm versichern, dass er schon bald wieder zurück wäre. Er ignorierte das enttäuschte Platschen, als er auf den grünen Hügel kletterte. Der große Fels thronte in der Mitte, riesig, grau und verwittert. Es war ein alter Stein, das wurde Gariath bewusst, als er mit der Hand darüberstrich; ein Stein, der die Geburt des Flusses gesehen hatte, die Geburt des Waldes und noch vieles mehr.
Er kannte den Stein.
Er holte tief Luft, sog die Erinnerungen ein. Der alte Stein gab seine Geschichten preis, ließ die Gerüche aus der Erde ringsum entweichen und wehte sie in Gariaths Nüstern. Die Erinnerungen kamen schnell, überwältigten ihn fast.
Taoharga wurde hier geboren, das wusste er, und sie war die schnellste Läuferin des ganzen Landes. Ihre Füße schienen den Kontakt mit der Erde zu verschmähen, und die Tiere fürchteten ihr Kommen.
Er inhalierte wieder. Gathar stand hier und nahm seine Kinder
schützend unter die Schwingen, wenn die Stürme kamen und drei Tage lang nicht nachließen.
Das Geräusch eines Atemzugs. Argha und Hartaga sind hier geboren worden. Sie standen, kämpften, jagten und bluteten zusammen.
Jetzt kamen die Atemzüge kurz nacheinander, schnell und rau. Gathar hatte gelacht, als er sich hier paarte. Harathag brüllte den Himmel an, als seine Kinder vor ihm starben. Iagrah sah zu, wie ihr Sohn ihr einen Fisch fing und mit ihm am Ufer rang.
»Da …«, flüsterte Gariath. Seine Stimme fürchtete sich zu bestätigen, was er wusste. »Es waren Rhega hier.« Seine Lider zuckten, und er presste die Hand fest auf den Stein. »Sie waren … wir waren hier.«
Wir waren hier.
Nicht der Name seines Volkes oder seiner Familie hallte durch seinen Verstand. Sondern diese schrecklichen gemurmelten Worte, die seinen Kopf schmerzen und seine Lippen beben ließen. Rhega waren hier. Sie sind es nicht mehr.
Das hätte das Ende sein sollen, ein weiterer Grund, aus dem Hoffnung dumm war, ein weiterer Anlass, tränenüberströmt zurückzulaufen, sich in den Trost des Hasses und die Wärme der Wut zu flüchten. Er hätte zurückgehen sollen, zurück zum Kämpfen, zurück zum Blutvergießen. Aber er brachte es nicht fertig, wegzugehen, noch nicht, nicht, bevor er den alten Stein angeschaut und seine Frage gestellt hatte.
»Wohin sind sie alle gegangen?«
Gariaths Ohrlappen zuckten, als er das Rascheln von Laub hörte. Finster ließ er den Blick über das Dickicht gleiten. War etwa einer dieser schwächlichen Menschen ihm zu diesem Ort gefolgt, wo er nichts zu suchen hatte?
Auch gut, dachte er und krümmte seine Klauen. Es gab keinen Grund mehr, dieses alberne Spiel fortzusetzen, zu tun, als hätten sie den Tod nicht verdient; es gab keinen Grund mehr, sie am Leben zu lassen. Sie waren die Antwort auf seine Frage, sie waren der Grund, warum die Rhega fortgegangen waren.
Keine Fragen mehr. Keine Entschuldigungen. Diesmal würden sie alle sterben.
»Tritt vor und stirb wenigstens mit einem Rest von Würde«, grollte er, »oder lauf davon, damit ich dich jagen kann.«
Der unsichtbare Spion reagierte, sprang wie ein roter Blitz aus dem Laubwerk. Er bewegte sich schnell, lief so schnell über das Grün und durch den Fluss, dass er ihn erst erkannte, als er bei ihm war.
Er spürte einen Druck an seinem Knöchel, warm, fast liebevoll. Langsam richtete
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