Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
dafür brauchen würde. Wie viel Zeit würde es ihn kosten, die Kammer mit dem schwarzen Wasser und dem Felsvorsprung noch einmal aufzusuchen? Wie viel Zeit brauchte er, auf den Grund zu sinken und das, was mit ihm diese Kammer verlassen hatte, dort zurückzulassen?
»Ich höre es jetzt öfter«, flüsterte er. Vielleicht hörte ihn ja irgendein Gott. »Es ist so laut, so klar.« Zerstreut rieb er sich das Bein. »So kalt.«
Mit der Stimme waren die Erinnerungen gekommen, die Bilder, die er bereits vergessen hatte. Sie blitzten vor ihm auf, in den Augenblicken, in denen er die Augen schloss, und er hörte die Stimme während der Momente, in denen er den Atem anhielt. Er erinnerte sich an das seltsame Gewicht auf seinem Kopf, als wäre sein Schädel mit Blei überzogen. Er erinnerte sich daran, dass keine Wärme in ihm war, und dass es ihn nicht gestört hatte.
Er erinnerte sich daran, wie er seine Hände vor sich gesehen hatte, ihre graue Haut.
Jetzt lagen sie vor ihm. Sie waren rosa. Aber er erinnerte sich daran, was sie getan hatten, wessen Kopf sie abgeschlagen hatten.
»Dämonen kann man mit den Waffen der Sterblichen nicht verletzen«, murmelte er vor sich hin. »Dämonen können von sterblichen Händen nicht getötet werden. So etwas kann nicht geschehen.«
Aber es ist passiert.
»Wirklich?«, fragte er. »Vielleicht war das alles ja … imaginär, eine Halluzination. Mein Verstand könnte mir einen Streich gespielt haben.«
Immerhin musstest du etliche Schläge auf den Kopf einstecken.
»Genau, eine Menge Schläge«, stimmte er zu.
Aber sie waren selbstverständlich nicht so schlimm wie diejenigen, die Machtwort hinnehmen musste.
»Genau, ich …«
Lenk unterbrach sich und hob den Blick. Er riss die Augen auf, während ihm das Blut in den Adern gefror. Tief in ihm stieg ein Kichern auf, das durch sein Gehirn glitt und über sein Rückgrat in seine eiskalten Beine fuhr.
»Jetzt hat es dir wohl etwas die Sprache verschlagen, was?«
»Was?«
»Du bist nicht mehr so gesprächig, oder? Keine weiteren Fragen?«
Lenk drehte sich um und betrachtete den Assassinen, der hinter ihm stand. Denaos grinste, während er zu dem jungen Mann ging und sich neben ihn an den Strand setzte.
»Noch irgendwelche dummen Fragen bezüglich des Frauen-Problems? Vielleicht möchtest du ja wissen, woher die Babys kommen?«
Lenk musterte den großen Mann unter Lidern hervor, die sich plötzlich schwer anfühlten, als hätte man ihm in einem Atemzug den Schlaf eines ganzen Jahres geraubt. Er zog die Knie an die Brust und richtete den Blick auf den Ozean.
»Nein, ich will nicht mehr reden.«
»Ach? Nichts mehr zu tun?« Denaos blickte über den Strand auf das Boot, dessen Loch wenig vertrauenerweckend mit Holzstücken geflickt war. »Es ist nicht unbedingt gute Arbeit, das gebe ich zu, aber es ist trotzdem kein Grund, aufzuhören zu plaudern. Am Ende habe ich mich wirklich amüsiert.«
»Ich will nicht reden …«
»Vielleicht möchtest du dann ja zuhören.« Der Assassine kratzte sich das Kinn. »Offen gestanden habe ich deine Chancen bei Kataria möglicherweise falsch eingeschätzt.« Als der junge Mann ihn bekümmert ansah, grinste er. »Siehst du, ich dachte mir, dass dich das interessiert.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Denaos verdrehte die Augen. »Mir ist eingefallen, dass viele romantische Geschichten mit dem Tod enden, jedenfalls, wenn man den Theaterdramen glauben darf. Häufig enden sie mit Selbstmord oder Mord … und wenn die Handlung gut ist, manchmal auch mit beidem.« Der Assassine zuckte mit den Schultern. »Angesichts eurer Gewerbe stehen meines Erachtens eure Chancen für beides ziemlich gut. Gewalt, scheint es, bietet einen sehr fruchtbaren Nährboden für das Aufkeimen von Liebe.«
»Liebe …« Lenk blickte auf seine Hände.
Wer könnte schon jemanden lieben, der … der getan hat, was du getan hast? Jemanden, der das ist, was du bist?
»Wer braucht denn überhaupt Liebe?«, wollte die Stimme wissen.
»Halt’s Maul!«, zischte Lenk.
»Nein, nein, lass mich ausreden«, erwiderte Denaos hastig. »Da sie eine Shict ist, stehen die Chancen, dass sie dich tötet, ganz hervorragend. Und fast genauso endet das Stück Die Häresie von Geier Hülse. Hast du es vielleicht zufällig gelesen?« Er klatschte in die Hände. »Eine großartige Tragödie aus unserer Zeit. Wahrhaftig inspiriert.«
»Hast du …?«, Lenk blickte den Assassinen an. »Warst du jemals verliebt?«
»Ich war
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