Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Großvater, wer sind sie?«
»Sie sind ... Verlorene, Weisester«, antwortete der Ältere. »Sie werden dich nirgendwohin führen.«
Gariath betrachtete den Geist einen Moment. Er zog die Augen zusammen, als er etwas in ihm sah. Nein, dachte Gariath. Er sah in diesem Moment durch ihn hindurch. Der Geist nahm ab, sein Umriss zitterte, und er verblasste, als das Sonnenlicht ihn durchdrang. In diesem Licht war nichts Hartes, nichts Blutdurchströmtes, nichts Fleischiges an dem Älteren.
Gariath kehrte dem Geist den Rücken zu und ging den Fluss hinunter.
»Wohin gehst du, Weisester?«, rief er ihm nach.
»Ins Nichts«, erwiderte er.
»Wenn er um Wasser bittet, gebt ihm keines«, sagte der junge Mann, der als Wachposten fungierte, und wedelte mit seinem Schlüsselring, als wäre es ein Symbol seiner Autorität. »Und ich würde ihn auch nicht direkt ansehen, wenn ich Ihr wäre.« Er schnaubte verächtlich. »Er sieht furchterregend aus.«
Bralston nickte kurz, als der junge Mann die verstärkte Tür zu dem zweckentfremdeten Lagerhausraum öffnete, der als Gefängnis diente. Bralston trat in die Schatten, die dahinter lauerten.
Die Tür schwang hinter ihm zu, und die engen Räumlichkeiten verschluckten das Echo. Er ging tiefer in den Raum hinein. Als er seinen Hut absetzte, berührte er kurz seinen Augenwinkel. Der Raum war vermutlich ein Lager für die unwichtigsten Besitztümer der unbedeutendsten Mitglieder der Gesellschaft gewesen, wenn man dem Geruch Glauben schenken wollte. Die Wände waren so hoch und breit wie zwei Männer, und die einzige Helligkeit spendete ein gedämpfter Lichtstrahl, der durch ein vergittertes Loch in der Decke fiel. In dem Strahl wirbelten Staubflocken herum, die sich bei dem vergeblichen Versuch zu entkommen fast überschlugen.
In dieser alles durchdringenden Verzweiflung fiel die Gestalt, die sich kläglich an die Wand drängte, kaum auf.
Bralston sagte zunächst nichts, sondern begnügte sich damit zu beobachten. Den Mann, jedenfalls hatte man ihm gesagt,
dass es sich um einen Mann handelte, genauer zu betrachten war schwierig, weil er sich so fest an die Wand presste.
Der Bibliothekar konnte jedoch die wesentlichen Merkmale des Mannes erkennen. Sein struppiger Bart war einst gepflegt gewesen. Seine breitschultrige Gestalt war sicher einst hoch aufgerichtet gewesen, denn sie schien sich selbst jetzt noch gegen das Bedürfnis des Mannes zu wehren, sich zusammenzukauern. Der Blick eines glänzenden Auges war auf den Boden gerichtet, das schwere Lid blinzelte nicht.
»Ich bin hier, um mit dir zu reden.« Bralstons Stimme durchdrang schmerzhaft die Stille.
Der Mann antwortete nicht.
»Deine Unterstützung ist dazu erforderlich.«
Bralston spürte, wie er zornig wurde, als der Mann weiterhin stumm blieb.
»Deine Kooperation«, sagte er und ballte die Faust, »kann erzwungen werden.«
»Wie lange, Sir, habt Ihr meine Gesellschaft gesucht?«
Der Mann sprach, ohne eine Wimper zu verziehen, ohne aufzublicken. Bralston registrierte, dass die Stimme einmal dröhnend gewesen sein musste. Aber etwas hatte sie mit scharfen Fingern ausgehöhlt und nur ein ersticktes Flüstern übrig gelassen.
»Seit ungefähr einer Woche.«
Der Mann kicherte, es war ein düsteres Kichern, das zweifellos einst dazu diente, um fröhliches Entsetzen anzukündigen. »Ich beklage meinen Mangel an Überraschung. Aber würde es Euch überraschen, wenn Ihr erfahren würdet, dass ich einst ein Mann war, dessen Gegenwart ebenso flüchtig war wie ein sanfter Zephyr?« Er lehnte sich zurück und legte eine Hand auf sein kräftiges Knie. »Das war ich einst, trotz des verhüllten Elends, das Ihr jetzt vor Euch seht.« Er trommelte mit seinen seltsam kurzen, stummeligen Fingern auf sein Knie. »Das war ich einst.«
Ein scharfer Blick verriet Bralston, dass die Finger des
Mannes tatsächlich nur Stumpen und seine behaarten Handrücken von Tätowierungen überzogen waren. Sofort verließ ihn sowohl jegliche Sympathie für den Mann und auch das Verlangen zu wissen, was ihm passiert war.
Klippenaffe.
Welche Grausamkeiten auch diesem Mann von wem auch immer angetan worden waren, sie waren zweifellos Freundlichkeiten im Vergleich dazu, wie viel Blut er vergossen hatte und wie grausam er so viele Menschen geschändet hatte. Bralston spürte, wie sein linkes Augenlid zuckte, als er an das Schicksal des letzten Klippenaffen dachte, den er getroffen hatte.
»Deine ... Tage des Zephyr, wenn du so willst, sind das, was
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