Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
zu Boden schwebten. Er sah nicht auf, als zwei lange grüne Beine
neben ihm auftauchten und ein einzelnes gelbes Auge auf den Schädel herunterblickte.
»Er liegt in der Luft, in der Erde.« Er hockte sich neben Gariath und strich ehrfürchtig mit der Hand über den Sand. »Das ist der Tod. Ganz gleich, wie viele Knochen wir finden und zurückgeben«, er seufzte, »es gibt immer noch mehr.«
Gariaths starrer Blick blieb auf den Schädel gerichtet. Er hatte Angst hochzusehen und noch mehr Angst, die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge lag.
»Sind sie ...?«, fragte er trotzdem. »Alle?«
Der Shen drehte den Kopf zu ihm herum und richtete den Blick seines einzelnen Auges auf ihn. »Nicht alle, nein.«
Bedeutungsschwere Worte, das begriff Gariath, die durch Bedeutungslosigkeit leichter gemacht wurden. »Wenn ein Volk zu einer Person wird, ist niemand mehr übrig.«
»Wenn einer übrig ist, ist einer übrig. Scheitern und Philosophie sind Menschen vorbehalten.« Er richtete seinen Blick auf eine Stelle weiter entfernt am Strand. »Sie waren hier.«
Gariath hatte nicht erwartet, dass ihn das interessierte. »Menschen?«
»Sie wurden vorhin hier entlanggeschleppt, von den Langgesichtern«, murmelte der Echsenmann und starrte eindringlich auf den Boden. »Wir hatten gehofft, Togu würde sich um sie kümmern, allerdings nicht, indem er sie an purpurhäutige Bestien verfüttert. Er hat dadurch nur zu weiteren Überfällen ermutigt.« Er schnaubte. »Aber er war schon immer schwach.«
»Du hast sie verfolgt? Also bist du ein Jäger?«
»Ich bin Yaike. Ich bin Shen. Es spielt keine Rolle, was ich tue, solange ich es für alle Shen tue.«
»Du kannst mit einem Auge jagen?«
»Ich habe ein Auge. Ich bin immer noch Shen. Andere wimmelnde Rassen sind zahlreich genug, um aufzugeben, wenn sie ein Auge verlieren.« Er summte, und sein ganzer Körper vibrierte bei dem Geräusch. »Heute Nacht jagen wir Langgesichter. Heute Nacht töten wir sie. Dadurch wissen
wir, dass wir Shen sind.« Er sah Gariath an. »Heute Nacht gibt es noch mehr Knochen, Rhega . Es gibt immer mehr.«
»Es gibt schon sehr viele davon auf dieser Insel.«
»Das da?« Yaike deutete auf den Schädel. »Eine Tragödie. Die Shen wurden im Tode geboren. Wir tragen ihn bei uns.« Er fuhr mit einer Klaue über seine tätowierte Haut. »Unser Leben ist davon gezeichnet, damit verbunden. Im Tod finden wir Leben.«
»Ich habe im Tod nichts gefunden.«
»Ich bin Shen.« Yaike erhob sich. »Ich kenne nur Shen. Von Rhega kenne ich nur Legenden.«
»Und was sagen sie?«
»Dass Rhega Leben in allen Dingen finden. Ich bin Shen. Für mich gründen alle Dinge im Tod.«
Yaikes Blick richtete sich einen Moment auf Gariath, bevor er sich umdrehte und davonging, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Gariath rief ihm nicht nach. Er wusste, dass der Shen ihm nichts weiter anbieten konnte, ebenso sicher, wie er den Namen Shen kannte. Weil er jedoch ganz und gar nicht sicher war, woher er den Namen kannte, empfand er keine Ruhe. Die Gedanken lasteten immer noch schwer auf ihm.
Antworten im Tod , dachte er. Ich habe viel Tod gesehen.
»Und du hast immer noch nichts gelernt, Weisester«, flüsterte der Geist. Er war nirgendwo zu sehen.
Tod ist eine bessere Antwort als keine.
Darauf antwortete der Ältere nicht. Es waren gar keine Geräusche zu hören, bis auf das leise Rauschen der Wellen und die Schritte von Stiefeln auf Sand.
»Ist es das?«, fragte eine knirschende Stimme plötzlich. »Es ist ganz schön groß, was?«
Seine Nüstern bebten: Eisen, Rost, Hass.
Er drehte sich um und betrachtete sie sorgfältig, das Trio aus purpurhäutigen Langgesichtern, das aus der Nacht aufgetaucht war. Sie hielten ihre Schwerter in ihren Fäusten und hatten dicke, gezackte Wurfmesser an ihren Gürteln. Wie
leicht es wäre, schoss ihm durch den Kopf, einfach stehen zu bleiben und sich von ihnen abschlachten zu lassen. Wie leicht wäre es, eine Antwort in seinem eigenen Blut zu finden, das auf den Sand tropfte.
Aber bis jetzt hatte er auf diesem Weg nichts herausgefunden.
Seine Nüstern zuckten. Er roch Blut an ihnen, Furcht, Hass. Leben. Schwach, dumm und vertraut. »Ihr habt Menschen«, grunzte er. »Ich werde sie mir holen.«
»Sie gehören dir?«, fragte eine von ihnen. »Wie wäre es, wenn wir ihre Reste mit deinen Resten zusammen auf einem Scheiterhaufen verbrennen? Ist das fair?«
Er trat vor und fühlte sich erfrischt, als eine Woge von Zorn in ihm aufwallte. Es war
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