Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
Ziel.
Die Hand des Mannes zuckte in seine Manteltasche und tauchte augenblicklich wieder auf. Darin lagen drei Papierfetzen. Erst als er sie schleuderte, bemerkte Lenk, dass sie die Form von Kranichen hatten. Das war jedoch längst nicht so interessant wie die Tatsache, dass sie ihre kleinen Papierflügel ausbreiteten und von allein flogen.
Der Mann stieß ein Wort aus. Welche Sprache es auch sein mochte und wie der Befehl auch lautete, die gefalteten Kraniche hörten ihn jedenfalls und gehorchten. Augenblicklich verfärbten sie sich von weiß zu silber, von matt zu glänzend, wurden von eckig zu bösartig scharf. Sie fauchten durch die Luft und fanden drei purpurne Kehlen, in deren zarte Haut sie ihre eisernen Schnäbel tauchten.
Bögen fielen klappernd auf Deck. Das Keuchen und die atemlosen Schreie, mit denen die Niederlinge ihre Kehlen umklammerten, blieben jedoch ungehört. Sheraptus seinerseits schien sich nicht im Geringsten für die Frauen zu interessieren, sondern stieß mit seinen Fingern und den darauf folgenden peitschenden Blitzen nach seiner schwer fassbaren Beute.
»Warum ist das so ein wichtiges Thema für dich?« Er musste schreien, um sich in dem Knistern der elektrischen Ladung verständlich zu machen. »Ich habe noch nie von dir gehört. Wieso bist du so besessen von mir?«
»Deine Auslöschung ist ein Dienst an mehr als einer Macht. Du bist ein Schänder«, antwortete der Mann scharf. »In jedem Sinne des Wortes.«
»Soll heißen?«
»Ich habe dein Opfer getroffen.«
»Welches?«
»Du hast ihr alles genommen, einschließlich ihres Namens.«
»Geht es schon wieder um Frauen?«, fauchte Sheraptus, stieß einen Finger aus und schickte einen gezackten blauen Blitz dicht über den kahlen, gebräunten Schädel des Mannes. »Sind Vaginae denn wirklich so selten auf dieser Welt, dass sie so viel Ärger wert sind?«
Lenk nahm es als einen Wink des Schicksals, dass die Aufmerksamkeit des Langgesichts so stark von etwas anderem in Anspruch genommen wurde. Sein Blick zuckte an der Gestalt des Hexers vorbei zu den Türen der Kabine, so wie seine Gedanken von Kataria angezogen wurden, die zweifellos darin war. Es war eine einfache Angelegenheit hinüberzugehen, einzudringen und sie herauszuholen, solange Sheraptus so abgelenkt war.
So einfach, wie es sein kann, wenn ein Hexer darin verwickelt ist jedenfalls.
Wie aufs Stichwort spürte er eine vertraute Hand auf seiner Schulter, die viel zu mager und verschwitzt war, als dass sie ihm Sorgen bereitet hätte. Er drehte sich um und sah Dreadaeleons schweißnasses Gesicht, aus dem ihn dunkelviolett umrandete Augen eindringlich ansahen.
»Du warst sehr beschäftigt«, erklärte er.
»Es ist einfach unglaublich.« Die Intensität, mit dem der Jüngling ihn angrinste, weckte dann doch etwas Sorge bei Lenk. »Ganz plötzlich ist die Schwäche... sie ist verschwunden!
Ich... ich kann wieder Bann wirken, Lenk. Ich kann die Magie kanalisieren. Es fühlt sich ...«
Seine Augen wurden bedenklich weit, als er aufstand. Und sein Schambein befand sich für Lenks Geschmack viel zu dicht an seinem Gesicht, schon bevor er es prahlend bei jedem Wort vorstieß.
»Sieh hin! Nicht ein Tropfen, kein einziges Fünkchen von Feuer, nicht ein einziges Rauchfähnchen!«, verkündete der Jüngling lauthals. »Sieh doch! Sieh!«
»Nein! Nein!« Lenk packte seinen Gürtel und zog ihn mit aller Kraft herunter. »Jetzt hör zu, das Langgesicht ist abgelenkt, und du fühlst dich...«, er verstummte und schüttelte den Kopf. »Wir reden nicht mehr darüber. Denaos hat das eindeutig nicht geschafft, sonst hätte er es uns längst wissen lassen. Wir müssen also hineingehen und ...«
»Sie retten.« Dreadaeleon nickte. »Ich kann sie spüren, wenn ich nur daran denke. Die Macht... ich kann ihre Welle fühlen. Ist das nicht faszinierend? Venarie ist etwas Inneres, ganz sicher, aber sie wird von Gedanken und Logik regiert, nicht von Emotion. Dass sie auf diese Art und Weise funktioniert, ist...«
»Kannst du da rausgehen und irgendetwas Lebendiges verbrennen oder ihn irgendwie anders ablenken?«, erkundigte sich Lenk. »Dieses... dieses Vogelmann-Ding wird ihn auf Dauer nicht aufhalten können.«
»Bibliothekare sind dafür ausgebildet, gewaltige Taten mit Ausdauer und Macht zu bewerkstelligen, Lenk«, erwiderte der Jüngling gebieterisch. »Er kann weit mehr bewirken als du oder ich.« Er zuckte zusammen. »Und, weißt du, genau genommen bin ich als Mitglied des Venarium dazu
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