Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
erzähl ihnen alles. Sag ihnen, du weißt nicht warum, und sag ihnen, dass Kataria es auch nicht weiß. Oder sag ihnen von mir aus, ich wäre tot. Wie dem auch sei, wir können alle aufhören, darüber nachzudenken und darüber zu reden und darüber nachzugrübeln und mit dem weitermachen, was wir getan haben, bevor alle anfingen zu fragen, ob Riffid auch nur einen Hundeschiss darauf gibt, ob eine Shict sich mit Rundohren abgibt.«
Ihre Hände zitterten, und sie umklammerte den Spieß so fest, dass er zerbrach. Sie blickte mit tränenverschleierten
Augen darauf und wusste nicht, wann sie angefangen hatte zu weinen.
Sein Mitgefühl machte seinen Blick noch viel unerträglicher. Mitgefühl, gepaart mit einem offenkundigen Mangel an Verständnis, was seinen Blick schmerzhaft machte wie zwei Dolche, die sich in ihrem Leib umdrehten, während Tränen in die Wunden strömten. Also starrte sie ins Feuer und unterdrückte ihre Qual mit zusammengebissenen Zähnen.
»Es ist nicht so, wie es aussieht!«, stieß sie schließlich hervor.
»Es gibt nicht viele Möglichkeiten, wie man es betrachten kann, Kleine Schwester«, gab Naxiaw zurück. »Sie sind nicht tot. Du bist nicht tot. Also, warum bist du bei ihnen?«
Sie war dieser Frage ausgewichen seit dem Tag, an dem sie den Wald von Silesrian an der Seite eines silberhaarigen Affen verlassen hatte. Es war ihr zuerst leichtgefallen, ihr auszuweichen. Es war eine müßige Frage, eingeworfen von einem ungeübten, abgelenkten Verstand. Naxiaws Verstand dagegen war scharf und geübt. Die Frage traf sie wie ein Ziegelstein ins Gesicht, und sie hatte das Gefühl, dass alle Antworten, die sie vorher bemüht hatte, ihr auszuweichen, kein Gewicht hatten.
Wegen des Abenteuers? Am Anfang hatte sie sich genau das eingeredet ... das Abenteuer einer Entdeckungsreise und die Lust auf Schätze. Aber Shict hatten keine Verwendung für Schätze, und der Nutzen irgendwelcher Entdeckungen erstreckte sich nur auf Kundschafterdienste für den Stamm. Es gab im Shictischen kein Wort für »Abenteuer«.
Freundschaft vielleicht? Auch wenn sie sich verachten sollte, wenn sie es zugab, sie hatte ... sich an den Menschen gewöhnt. Nach einem Jahr konnte sie das nicht mehr abstreiten. Aber in der shictischen Zunge gab es kein Wort für »Freundschaft«, es gab »Stamm«, es gab »Shict«. Mehr brauchte ein Shict nicht.
Vielleicht, weil sie festgestellt hatte, dass sie mehr brauchte als einen Stamm ... mehr brauchte, als ein Shict benötigte?
Aber wie hätte sie ihm das erklären können? Wie sollte sie es sich selbst erklären?
Und als die Tränen anfingen zu fließen wurde ihr klar, dass sie es gerade eben getan hatte.
Sie spürte ihn, seinen Blick, seine Gedanken, seine Instinkte. Naxiaw griff nach ihr, mit seinen Augen, mit seinem Stirnrunzeln, mit seinen Gedanken, mit Ohren, mit allem außer seinen langen grünen Fingern. Die Prüfung war nicht anzüglich, aber sie war mit einem animalischen Begehren vermischt, einem tiefen Sehnen zu verstehen, was seinen Blick noch schmerzhafter machte, die Wunden noch tiefer.
Er starrte sie an, versuchte zu verstehen.
Und er würde es nie können. Es gab kein Wort dafür.
Wenn er auch nicht wusste, was sie fühlte, musste er doch etwas an ihren Tränen erkannt, etwas in ihrem Herz gespürt, etwas in ihrem Kopf gehört haben, was ihm sagte, dass sie etwas fühlte, was keine echte Shict empfinden sollte. Sein Gesicht zuckte, zitterte, und seine Trauer kämpfte mit Verwirrung und Wut. Am Ende jedoch schüttelte er nur den Kopf und seufzte einmal lange und müde auf.
»Kleine Schwester«, sagte er.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Es tut mir so leid.«
»Sie sind kou’ru. Affen. Seuchen. «
»Aber ich war so lange mit ihnen zusammen«, antwortete sie. »Meine Haut hat sich nicht abgepellt, mein Herz hat nicht aufgehört zu schlagen, mein Blut hat sich nicht in Schlamm verwandelt. Die Geschichten stimmen nicht. Sie sind keine Seuche.«
»Das sind sie wohl!«, fuhr er sie an und fletschte seine Reißzähne. »Und zwar eine Seuche, die nicht nur infiziert und tötet, sondern schwächt. Sie macht uns anfällig für andere Krankheiten, tiefere Krankheiten, Krankheiten, die nicht ausgemerzt werden können.«
»Was zum Beispiel?« Es überraschte sie, den grollenden Unterton in ihrer Stimme zu hören, zu spüren, wie sie die Ohren anlegte und ihm ebenfalls die Zähne zeigte. »Ich habe
in einem Jahr mehr gesehen, als die meisten Shict in ihrem ganzen
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