Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
und so unbedeutend Letztere.
»Und ich dachte damals unwillkürlich, trotz allem«, sie hatte geseufzt und zum Mond hinaufgeblickt. »›Danke, Talanas, dass du mir einen anderen normalen Menschen geschickt hast.‹« Sie hatte fast unmerklich die Stirn gerunzelt, was umso schmerzlicher war. »Damals hatte ich noch keine Ahnung, wer du warst. Du schienst das einzig Vertraute zu sein, worauf ich mich verlassen konnte. Wir waren gleich, kamen beide aus der Stadt, glaubten an die Götter und wussten, ganz gleich, was passiert, wir hatten uns, auf die wir uns verlassen konnten. Also bin ich bei ihnen geblieben, ganz gleich, wie oft ich auch weglaufen wollte, weil ich dachte, du wärest ...«
Ein Zeichen, hatte er gedacht.
»Aber du bist, was du bist.« Sie hatte ihn angesehen, etwas wie Mitleid in ihrem rechten und etwas wie Verzweiflung in ihrem linken Auge. »Oder nicht?«
»Nein«, hatte er geantwortet.
»Was dann?«, hatte sie wissen wollen.
»Heiß, heiß, heiß ...«, hatte Draedaeleon geflüstert.
Sie hatte sich zu dem Magus herumgedreht.
Denaos hatte die Fackel fallen lassen und war weggerannt.
Es war eine feige Flucht, das wusste er. Sie würde vielleicht nach ihm suchen. Er hoffte allerdings, dass sie es nicht tat, da er angedroht hatte, ihr den Bauch aufzuschlitzen, aber die Möglichkeit bestand trotzdem. Das wusste er seit dem Moment, als er in ihre Augen geblickt hatte und sie in seine, durch sie hindurch, tiefer in ihn hinein.
Sie hatte das Gesicht gesehen, das er ihr zeigte, und begriffen, dass es nicht sein wahres Gesicht war. Und ihre Augen, ihre zitternde Stimme, all das sagte ihm, dass sie es wissen wollte. Sie würde es wissen wollen ... alles.
Er hatte zu hart gearbeitet, um ihr das alles zu enthüllen. Die ganze Geschichte war schon unappetitlich geworden, noch bevor er seinen Rückzug angetreten hatte. Sie hatte gehört, wie er neben ihr kniete und flüsterte. Sie hatte gesehen, wie seine Maske gefallen war. Sie hatte etwas in ihm gesehen, das sie veranlasste, sich nicht von ihm abzuwenden.
Das konnte er nicht akzeptieren.
Besser, wenn es so endet, sagte er sich und lehnte sich an die Mauer. Er nahm einen tiefen, genüsslichen Schluck aus der Flasche. Besser für sie, wenn sie es niemals erfuhr. Wäre er geblieben, hätte sie ihn weiter bedrängt. Würde sie ihn weiter bedrängen, würde er irgendwann aufgeben. Er würde ihr vertrauen.
Und sie ... sie würde anfangen, sich in seiner Gegenwart zu entspannen. Obwohl er ein Mann war, in dessen Gegenwart sich niemand entspannen sollte. Sie würde vor Zufriedenheit seufzen statt vor Frustration. Sie würde aufhören zusammenzuzucken, wenn sie hörte, wie er näher kam. Sie würde ihn schüchtern anlächeln, sittsam kichern und all die Dinge tun, die Ladys Männern wie ihm gegenüber nicht tun durften.
Sie würde ihm vertrauen.
Und du weißt noch sehr gut, wie es das letzte Mal ausgegangen ist, richtig?
Er blinzelte. Hinter seinen geschlossenen Lidern zuckte es rot und schwarz. Eine Frau lag neben ihm und lächelte ihn zweifach an, mit ihren Lippen und mit dem Schnitt in ihrer Kehle.
Er schüttelte den Kopf, setzte die Flasche an die Lippen und trank.
Philosophisch gesehen war das alles sehr wohl begründet. Es ist besser für sie, dachte er, wenn ich verschwinde. Natürlich war das eine Lüge, das war ihm klar, aber es war eine gute Lüge, eine heilige Lüge, gesegnet von Silf. Der Schutzheilige wäre höchst erfreut über einen so vernünftigen, philosophischen Gefolgsmann.
Allerdings erforderte Philosophie auch Aufrichtigkeit. Und wie jeder Philosoph, dem es an Aufrichtigkeit mangelte, griff Denaos erneut zur Flasche.
Er war bereits etwas benebelt, aber es war ein sehr angenehmer Nebel. Die Lügen ergaben jetzt allmählich einen Sinn. Die Logik war klar, und vor allem sah er nur Dunkelheit, wenn er die Augen schloss. Das machte der Schnaps. Er brachte alles zum Schweigen.
Und alles war ruhig. Das Murmeln des Ozeans war schwach und kam von weither. Die Steine waren stumm, wie es sich für Steine gehörte. Die Wolken zogen vor dem Mond dahin, ohne dass der Wind, der sie antrieb, ein Geräusch machte. Alles war still.
So still, dass er das Flüstern mit fast schmerzhafter Klarheit hörte.
Es begann formlos, ein Plappern, das ohne Worte über den grauen Stein drang. Als die Geräusche jedoch direkt über ihm schwebten, sammelten sie sich und formten einen Speer, der mit einem lauten Kreischen in seinen Schädel eindrang.
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