Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
wollen den Tod? Gib ihnen den Tod. Ihnen allen.«
»Blut. So viel … Blut …«
Je länger er ihnen zuhörte, desto deutlicher wurden sie. Und je deutlicher sie wurden, desto genauer hörte er ihnen zu.
Währenddessen wurden seine Blicke zum Bergkamm gezogen, zu der nackten blassen Haut eines schlanken Rückens, der ihm zugewandt war. Zu langen zuckenden Ohren, die die Stimmen nicht hören konnten.
Die Stimmen, die lauter wurden, immer wenn er sie anstarrte.
»Verräter. Sie kommen näher. Töte sie. Alle.«
»Sie hassen uns. Sie fürchten uns. Aus gutem Grund. Sie sollen leiden.«
»Warum zwingen sie uns dazu, ihnen wehzutun? Wir wollten niemals jemanden töten. Aber wir haben keine Wahl.«
Er wartete darauf, dass sie mehr sagten. Er wartete, dass sie noch eine Oktave höher sprachen, noch etwas deutlicher sprachen, um ihm zu verraten, was er tun musste, damit sie endlich verschwanden. Damit endlich dieser schreckliche Schmerz aufhörte, der immer dann in seiner Brust aufflammte, wenn er sah, wie sie wegging.
So wie er sie jetzt anblickte. Und sie seinen Blick nicht erwiderte.
Sie sagten nichts. Die Flamme erlosch, und die Motten flogen lautlos davon. Er hielt den Atem an, aus Angst, ein kostbares Wort zu versäumen, während er Luft holte. Doch Luft und Geduld gingen ihm gleichzeitig aus.
»Also?«, erkundigte er sich.
Der Wind antwortete, flüsterte mit seinem feuchten Atem in sein Ohr.
»Es wird nicht aufhören, Lenk.« Der Wind sprach mit einer unangenehm vertrauten Stimme, unangenehm nah. »Nicht durch Blut.«
Er blinzelte.
»Was soll das heißen?«
»Was«, meldete sich eine andere Stimme zu Wort, die einzige, die er kannte, die Stimme voller Eis und Hass, »soll was heißen?«
Als ein Mann, der Schizophrenie als Normalzustand empfand, war Lenk sehr stolz darauf, sich damit trösten zu können, dass er niemals wirklich das Verlangen gespürt hatte, sich seinen eigenen Schädel an einem spitzen Felsen aufzuschlagen. Um herauszufinden, was genau sich darin befand und ihn dazu brachte zu glauben, alles wäre logisch. Um dann zu hoffen, sich einen Reim auf die Worte dieser körperlosen Stimmen machen zu können.
Aber vermutlich hatte jeder mal einen schlechten Tag.
Seiner war allerdings erheblich schlechter geworden, sobald er diese Stimme gehört hatte. Die Stimme, die zu ihm gesprochen hatte, die nicht einfach nur palavert hatte. Diese besondere Stimme, die zu ihm sprach, als würde sie ihn kennen, statt so zu reden, als wollte sie ihn herumkommandieren.
Er hatte sie nicht in seinem Kopf oder in seinem Herzen gehört. Sie sprach zu ihm, als wäre er nicht verrückt. Mit einer Stimme, die so vertraut, so herzlich war, dass es ihn schmerzte, sie nicht mehr hören zu können.
Und die das Bedürfnis in ihm weckte, sich niederzulegen und demütig zu sterben.
Aber er hatte sich schon öfter so gefühlt. Als er sein Schwert schulterte und zu dem Vorsprung ging, um ihr Gesellschaft zu leisten, war es nicht das erste Mal, dass er versuchte, sie zu ignorieren.
Er fand Kataria, wo er sie verlassen hatte. Sie starrte über den Rand des Felsenkamms und erfand neue Flüche, nachdem alle bekannten Verwünschungen ihr längst ausgegangen waren.
»Diese verfluchten, stinkenden, von Fäulnis befallenen Drecksskelette!«, zischte sie. »Vielleicht wäre es das Beste, sich einfach hindurchzuzwängen und auf der anderen Seite als Klumpen aus blutigem Fleisch und Eingeweiden wieder herauszukommen.«
Er musste sie nicht fragen, was sie meinte. Die kleine Schneise in dem Korallenwald und dem Kelp, die sie gefunden hatten, hatte nur bis zu einer Lichtung geführt. Von da an wurde die Lage noch komplizierter.
Vor ihnen wuchs ein zerklüfteter Garten. Rote Dornen kletterten übereinander vor Eifer, die Gefährten zu packen. Scharfe gelbe Fächer wuchsen in Schichten aufeinander und erhoben sich wie rasiermesserscharfe Sonnen. Hellblaue Speere ragten in Bündeln aus dem Boden, wie die Blüten von Blumen, die sich von Blut ernährten.
Und in den wenigen Lücken um die Lichtung herum, wo keine Korallen mit ihrer rachsüchtigen Schärfe wuchsen, erhob sich der Kelp mit seinen großen grünen Wänden und schwankte gleichgültig hin und her. Er war vollkommen ungerührt von Katarias Enttäuschung, während sie weiterhin nach einem Ausweg suchte, der sie nicht etliche Pfund Fleisch und entsprechend viele Liter Blut kosten würde.
»Er geht einfach meilenweit so weiter«, bemerkte Lenk. »Da fragt man sich, welchen
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