Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
stand er da, starrte auf den Ring hinaus und versuchte, es sich vorzustellen.
Er sah Bruchstücke einer Vision: die Glocken von Ulbecetonths Auserwählten, die zerstört waren und sich mit den Trümmerhaufen mischten, mit den Belagerungsmaschinen, den Statuen der Armeen der Sterblichen, den titanischen Leichen von Dämonen, die den Boden mit einer Schicht Fleisch bedeckten, welche von Blut getränkt wurde, auf dem die Blumen der Sterblichen verwelkten und sterben konnten. Er konnte Rot sehen.
So viel Rot. So viele regungslose Körper.
Es war ein riesiges Feld. Er hatte lange gebraucht, um es zu überqueren. Es mussten sehr viele von ihnen gewesen sein. Sie mussten dort gelegen haben, schreiend, fluchend, nach ihren Müttern heulend und die Hände nach ihren Brüdern ausstreckend, die neben ihnen lagen, nach ihren Vätern, die verbluteten und nicht sterben wollten.
Er konnte es sehen.
Aber er roch nichts.
Ktamgi hatte nach Erinnerungen geduftet. Teji stank nach Bedauern. Aber Jaga roch nach gar nichts. Weder nach Tod noch nach Wehklagen. Nicht einmal das Aroma schon lange verflossener Tränen, die in die Erde eingesickert waren und dort darauf warteten, dass er sie fand, lag in der Luft.
Hier gab es keinen Duft der Erinnerung.
Hier gab es keine Geister.
Hier waren keine Rhega.
Bis auf ihn. Und die aus den Geschichten, welche die Shen ihm zischend erzählt hatten.
Konnte er ihnen trauen? Brachte er es über sich, ihnen zu glauben? Konnte er die Rhega hier wandeln, leben und neben den Shen kämpfen sehen, neben den Menschen, so zahllos wie die Sterne?
Er blickte prüfend zum Nachthimmel hinauf und schnaubte. Die Analogie wäre vielleicht einfacher zu glauben gewesen, hätte er tatsächlich Sterne sehen können. Gewiss, dort oben gab es Lichter: purpurne Lichter, gelbe, selbst ab und zu ein blassblaues Leuchten, das man möglicherweise mit einem Stern hätte verwechseln können.
Doch dann rührten sie sich. Die Fische trugen diese Lichter in ihren Bäuchen, dann bewegte sich etwas, die Lichter schwammen voneinander fort, zahllos und unmöglich im Auge zu behalten.
»Es gibt hier keine Sterne.«
Es überraschte ihn nicht sonderlich, Shalake in der Nähe stehen zu sehen. Der Echsenmann war nicht von Gariaths Seite gewichen, seit er auf dieser Insel angekommen war. Es war immer Shalake, der die Geschichten zischend erzählt hatte. Jetzt stand er wieder neben Gariath und blickte in den Himmel hinauf.
»Himmel und Meer sind hier eins. Es gibt keinen Platz für irgendetwas anderes.« Er verfolgte mit der Kralle den Weg eines blau glühenden Fischs, der langsam über den Himmel schwamm. »Und diese Fische tauchen nur im Schatten des Berges auf.«
Sie blickten auf das riesige steinerne Monument, das unverrückbar am anderen Ende des Rings thronte. Sturmwolken umringten seinen Gipfel, und die blauen Flüsse hoben sich wie Adern hell und funkelnd vor den vielen Lagerfeuern darunter ab. Es stand mit einem sehr irdisch wirkenden Überdruss da, denn es hatte viel gesehen: viele Tote, viele Leichen.
Das Blut, das morgen vor seinen steinernen Augen vergossen werden würde, war da schwerlich sonderlich bemerkenswert.
»Es ist ein Fehler«, knurrte Shalake. »Wir sollten nicht hier kämpfen. Auf Shen-Art zu kämpfen bedeutet, rasch vom Meer aus und aus dem Schatten zuzuschlagen. Wir könnten dorthin gehen.«
Er deutete hinter sich. Der Kelp erhob sich in einer großen Masse aus wogenden Stängeln, die fein säuberlich von der steinernen Straße, die zu dem Kreis aus Sand führte, in der Mitte durchtrennt wurde.
»Unsere besten Chancen liegen darin, im Wald zu kämpfen.«
»Hast du Angst?« Gariath lächelte nicht, als er die Frage stellte.
»Ich habe nachgedacht«, erwiderte Shalake. »Die Langgesichter können eine Streitmacht, wenn sie so groß ist, wie die Menschen behaupten, nur über die Straße vorwärtsbewegen. Wir würden sie dort in der Abenddämmerung bekämpfen. Wir würden die Sonne mit ihrem und unserem Blut rot färben. Ihre Toten würden an die Haifische verfüttert, und unsere würden ins Meer zurückgeschickt werden.«
Gariath betrachtete den Wald aus Kelp und überlegte, ob es wirklich so einfach war. Hatte er selbst jemals so beiläufig darüber gesprochen, sich dem Tod in den Rachen zu werfen? Hatte seine Stimme jemals diese Spur von erregtem Winseln angenommen, das sich in Shalakes Stimme mischte, wenn er das Wort »Blut« aussprach?
Vielleicht hatte er sich das zu laut gefragt. Als er sich
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