Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
hat. Es waren immer dieselben: Eine böse Hexe entführt eine hübsche Prinzessin, und ein gut aussehender Prinz reitet zum Turm, wo sie gefangen gehalten wird. Das Ende …«
Er nahm das Messer in die linke Hand und betrachtete eine Weile ihr Spiegelbild.
»Das Ende ist immer dasselbe.«
Sein Arm zuckte. Das Messer pfiff durch die Luft. Es verstummte mit einem fleischigen Schmatzen, auf das ein Schmerzensschrei folgte. Er drehte sich um und lächelte freundlich.
»Es gibt einen Kampf, irgendeine Prüfung, die der Prinz bestehen muss«, flüsterte er, während er zu ihr ging. »Aber am Ende erreicht er schließlich die Spitze des Turms«, er packte den Griff, der aus ihrem Oberarm herausragte, »tritt die Tür ein«, er drehte das Messer leicht in der Wunde und ignorierte ihr Ächzen, »und trägt die Prinzessin hinaus.«
Er zog das Messer langsam aus der Wunde und lauschte auf sein Jammern, als es aus seinem netten, gemütlichen Bett gezerrt wurde, hörte, wie das Fleisch protestierte. Er betrachtete sein Spiegelbild auf dem Stahl und sah, dass sein Lächeln verschwunden war.
»Es ist immer dasselbe«, sagte er. »Mit den Märchen machen wir hässlichen Kindern klar, wie sie es schaffen zu überleben. Deshalb werden immer dieselben Geschichten erzählt. Kinder begreifen Dinge durch Wiederholungen.«
Er hob die Klinge, tippte damit leicht auf ihre Nase und hinterließ einen winzigen roten Fleck auf ihrer purpurnen Haut.
»Wir können diese Geschichte wiederholen bis in alle Ewigkeit.« Er drehte das Messer langsam, bis die Spitze unmittelbar unter ihrem Auge schwebte, nur eine Haaresbreite von der weichen weißen Substanz entfernt. »Die Prinzessin kann immer wieder in den Turm zurückgehen, so lange, bis du mir erzählst, was ich hören will. So lange, bis ich weiß, wo Jaga liegt und was deine hübschen Prinzen dort wollen.«
Jetzt wartete er. Er wartete, dass sich Furcht in ihre Züge schlich. Er wartete auf etwas, das er benutzen konnte. Er wartete, bis sie schließlich sprach.
»Ich muss pissen.«
Er seufzte; ein Fehler. »Gut, ich …«
Es war keine Bitte gewesen. Der beißende, warme Gestank, der ihm einen Augenblick später in die Nase stieg, bestätigte das. Er wurde bleich, drehte sich um; ein noch größerer Fehler.
Du zeigst Schwäche.
Fast schon Ekel.
Du kehrst ihr den Rücken zu. Müssen wir das alles noch mal durchkauen? Man verlässt sich auf dich und so weiter.
Richtig.
Er drehte sich wieder zu ihr herum. Ein Riesenfehler.
Sie saß da und grinste breit, während der Urin an ihrem Stuhl heruntertröpfelte und den sandigen Boden der Hütte dunkel färbte. Denaos ließ sich seinen Ekel nicht anmerken, obwohl er nicht hätte sagen können, wie lange ihm das noch gelingen würde. In ihrem Grinsen lag mehr als unterdrückter Hass, mehr als das Vergnügen am Leiden, das er schon erwartet hatte. Es schimmerte etwas in ihren Augen, das mehr war als nur Verachtung und Wut.
Fast, als wollte sie, dass er ihr Lächeln erwiderte.
»Was ist denn?«, erkundigte sie sich.
»Du widerst mich an.«
»Warum sollte ein Mann, der Pisse und Blut will, überrascht sein, wenn er Pisse und Blut kriegt?«
Er blinzelte und blickte auf den nassen Sand. »Ich weiß von der Existenz deiner Brut seit fast einem Monat. Falls dies also ein Rätsel sein soll, schäme ich mich nicht zuzugeben, dass ich es nicht lösen kann.«
Sie lächelte; es war kein Grinsen. »Meister Sheraptus sagte, ihr wäret dumm.«
»Dein Meister ist tot.«
»Meister Sheraptus irrt sich nie«, entgegnete sie und maß ihn neugierig von Kopf bis Fuß. »Aber du … bist nicht dumm.«
»Danke.«
»Du möchtest es nur unbedingt sein.«
In den meisten Handbüchern für Folterer und Verhörmeister herrscht Einigkeit darüber, dass rätselhafte Überlegungen eines Opfers im Allgemeinen eine kaum brauchbare Reaktion sind. Er drehte das Messer in seiner Hand herum und bemerkte, dass an der Klinge nicht sonderlich viel Blut klebte.
Was vermutlich daran lag, dass ihre Wunden nicht stark bluteten.
»So funktioniert das nicht«, knurrte sie und lächelte, als sie seine Miene sah. »Du kannst mich mit dem Messer schneiden, so viel du willst. Ich verblute nicht.«
»Natürlich nicht«, entgegnete er. Er setzte alles daran, seine Stimme kalt klingen zu lassen, während er versuchte, das Gespräch wieder unter Kontrolle zu bekommen. »Weil du es mir erzählen wirst.«
»Nein.«
Sie klang nicht trotzig. Es war eine Feststellung. Sie würde nicht
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