Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
bleibt das Töten.
»Also machen wir jetzt weiter oder nicht?«, erkundigte sich eine grollende Stimme.
Das und dein Händchen für Frauen, dachte er.
Er drehte das Messer etwas und sah in die spiegelnde Oberfläche. Sie war noch da. Er hatte gehofft, sie wäre verschwunden, obwohl das nicht so einfach gewesen wäre. Schließlich war sie an den Stuhl gefesselt. Trotzdem, es war gar nicht so schwierig, bedachte man, was sie war.
Und tatsächlich, es war kaum vorstellbar, dass Semnein Xhai von einfachen Lederriemen gehalten werden konnte. Sie mochten sich in ihre purpurne Haut graben und von geübten Händen geschnürt worden sein. Ihr Arm mochte verdreht und zerschmettert worden und nicht mehr zu gebrauchen sein, dank Asper. Aber unter dieser purpurnen Haut zeichneten sich gewaltige Muskeln ab, und außerdem waren seine Hände zurzeit ein wenig zittrig.
Ihr Spiegelbild starrte ihm aus der Klinge entgegen. Ihre Augen waren weiß und ohne Pupillen. Die Haare hingen ihr in fettigen weißen Strähnen um den Kopf und rahmten ein Gesicht ein, das ebenso scharf und lang war wie das Messer.
Und das merkwürdig ungeduldig aussieht, dachte er. Das war noch seltsamer, vor allem, da sie sehr genau wusste, was er mit einem solchen Messer anrichten konnte. Die Narbe an ihrem Schlüsselbein legte Zeugnis davon ab. Der frische Schnitt unter ihrem Brustkorb, flach und zaghaft, lieferte allerdings einen weit weniger überzeugenden Beweis.
An jenem Tag hatte er eine andere Maske getragen, die eines Mannes, der ein besseres Vermächtnis zu hinterlassen hatte als er, ein Mann, der nicht so gut war, was das Töten anging. Aber heute würde er es besser machen. Die Leute verließen sich darauf, dass er Informationen beschaffte. Das zumindest war ein etwas besseres Vermächtnis.
Aber es geht immer noch ums Töten, meldete sich sein Gedächtnis. Oder redest du dir wirklich ein, du würdest sie freilassen, nachdem sie dir alles erzählt hat, was du wissen willst? Entschuldigung, falls sie es dir erzählt.
Nicht jetzt, antwortete er. Man verlässt sich auf mich.
Richtig, schon gut. Tut mir schrecklich leid. Also dann, wollen wir?
Sein Gesicht in der Klinge veränderte sich. Er setzte seine Maske wieder auf. Die dunklen Augen wurden hart, er presste die Zähne fest zusammen, und sein Mund hörte auf zu zucken. Die Hände zitterten nicht mehr. Er lächelte in die Klinge: Sein Lächeln war grausam wie ein Messer und lang wie ein Messer.
Machen wir weiter.
Er hob die Klinge ein wenig und betrachtete erneut ihr Spiegelbild in dem Stahl. Glas war launisch. Stahl dagegen konnte kaum lügen. Er wusste, was er tat. Und er wusste, dass dies hier einfacher hätte sein sollen, als es war.
Ein Blick in ihr langes purpurnes Gesicht erinnerte ihn an den Grund, warum es sich nicht so verhielt. Ihr Spiegelbild zeigte keinerlei Furcht. Furcht hätte er nutzen können. Verachtung ebenso. Das wäre nett gewesen. Lust wäre ebenfalls akzeptabel gewesen, wenngleich auch etwas merkwürdig. Aber was sich auf ihrem Gesicht zeigte, war genauso hart wie alles an ihr. Es drückte Ungeduld und Gleichgültigkeit aus.
Damit konnte man nur schwer arbeiten. Und seine Aufgabe wurde dadurch sicherlich nicht einfacher.
Aber es ist nicht unmöglich.
»Und?«, grunzte sie. »Noch mehr Fragen für heute?«
»Nein.« Seine Stimme klang so sanft wie das Sonnenlicht, das durch das Schilfdach der Hütte drang. »Ich möchte heute Märchen erzählen.«
Keine Antwort. Weder Verwirrung noch Spott. Sie hörte einfach zu.
Außerdem saß sie fünfzehn Meter hinter ihm.
»Alte Märchen, gute Märchen«, flüsterte er. »Ich möchte Geschichten erzählen, mit denen Mütter ihre weinenden Kinder beruhigen. Von gut aussehenden Prinzen«, er hielt inne, drehte das Messer und starrte in seine eigenen Augen, »von hässlichen Hexen«, er fuhr mit dem Finger über die Schneide, spürte, wie sie sanft an seiner Haut leckte, »von hübschen bleichen Prinzessinnen mit langem, seidigem Haar.«
Er drehte das Messer erneut in seiner Hand und warf wieder einen Blick auf die Klinge. Drei Schritte nach links.
»Ich war ein sehr ruhiges Kind«, fuhr er fort, ohne sich umzudrehen. »Mutter hat mir keine Märchen erzählt. Ich habe nie geweint. Aber ich hatte einen Freund, der sehr viel weinte. Wahrscheinlich, weil er glaubte, er wäre noch nicht zu alt für Märchen. Ich habe ihn einmal zum Weinen gebracht … vielleicht auch zweimal. Habe gehört, wie seine Mutter ihm Märchen erzählt
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