Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
in Eis zu verwandeln. Aber es verstärkte nur die Kälte ihrer Stimme, machte die Wärme des Ozeans noch unerträglicher. Er wollte schreien, wollte zusammenbrechen, er wollte aufgeben und abwarten, ob die Strömung ihn weit genug davontrug, dass er für immer durch den Ozean treiben würde.
Doch so etwas konnte er nicht tun. Nicht mehr. Also senkte er den Kopf etwas, um ihrem Blick auszuweichen, und flüsterte.
»Ja. Klingt logisch.«
»Dann weißt du es also?«, fragte sie. »Du weißt, wie du dagegen kämpfen kannst? Du weißt, dass du dagegen kämpfen musst?«
Ihre Stimme klang hart, aber diese Härte war nur vorgetäuscht. Sie war nicht hart genug, um die Hoffnung zu unterdrücken, die darin mitschwang. Sie fragte ihn nicht nur seinetwegen.
Er hasste es zu antworten.
»Ich habe keine Angst davor. Nicht mehr.«
Er hob den Kopf und blickte zum Himmel. Die Sonne war weit entfernt, ein schimmernder Fleck auf einer Oberfläche, die so weit weg war, dass sie fast schon unwirklich schien.
»Ich hatte einmal Angst«, fuhr er fort. »Sie sagt so viele Sachen. Ich habe versucht, sie zu ignorieren, und habe Furcht empfunden. Ich habe mit ihr gestritten und fühlte Schmerz. Jetzt jedoch habe ich keine Angst. Es tut nicht mehr weh. Ich bin abgestumpft.«
»Wenn du sie einfach so ignorieren kannst, wo liegt dann das Problem? Wenn du gar nicht das Bedürfnis verspürst zu töten …«
»Oh, das verspüre ich.« Er antwortete mit einer Beiläufigkeit, die ihn selbst ärgerte. »Wenn die Stimme spricht, erzählt sie mir, wie sie mich im Stich gelassen haben. Wie sie mich verraten haben. Sie sagt mir, dass sie sterben müssen, damit wir in Sicherheit sind. Ich versuche, sie zu ignorieren … Aber das fällt mir schwer.«
»Du sagtest, du wärst abgestumpft, du hättest keine Angst.«
»Es ist nicht die Stimme, die mir Angst einflößt.« Jetzt endlich erwiderte er ihren Blick und lächelte schwach. »Sondern die Tatsache, dass ich allmählich anfange, mich ihrer Meinung anzuschließen.«
Denaos betrachtete sich in der spiegelnden Klinge. Immer noch keine Narben. Mehr Falten als früher. Und hässliche Tränensäcke unter den Augen, die er lieber nicht sehen wollte. Aber keine Narben.
Wenigstens etwas.
Sein Äußeres war eins von vielen Dingen, auf die er stolz war. Es gab noch andere Vorzüge, von denen er hoffte, dass man sich ihretwegen an ihn erinnern würde: seinen Geschmack, was Wein anging, sein Ohr für Gesang und sein Händchen für Frauen, ein Talent, das zwischen dem Reich der Poesie und dem der Hexerei angesiedelt war.
Und das Töten, warf sein Gewissen ein. Vergiss das Töten nicht.
Und das Töten. Auch darin war er nicht schlecht.
Trotzdem, überlegte er, während er sich selbst in dem blanken Stahl betrachtete, wenn nichts von alldem der Erinnerung wert sein würde, musste sein Aussehen genügen.
Doch als er das Spiegelbild des Mannes in der Klinge sah, dachte er darüber nach, ob Letzteres vielleicht auch keinen Bestand haben würde. Sein Gesicht war an Masken gewöhnt: scharfe, aufmerksame Augen über einem geschmeidigen Mund, der gern lächelte, sich aber auch unwillig verzog oder Flüche ausspie, je nach Bedarf. Das alles umrahmten klare, gleichmäßige Gesichtszüge.
Die Augen lagen jetzt tief in den Höhlen, wie dunkle Samen in schwarzer Erde, verborgen unter langem, ungepflegtem Haar. Auf seinen stoppeligen Wangen waren Flecken getrockneter Flüssigkeit. Er hatte sie nicht abgewischt. Sein Mund zuckte, weil er nicht ganz sicher war, was er eigentlich tun sollte.
Was nur angemessen war. Denn er wusste tatsächlich nicht, wen seine Maske im Augenblick darstellen sollte.
Also war auch sein Aussehen nicht das, was man von ihm in Erinnerung behalten sollte. Sein Blick glitt zum anderen Ende des Tisches, zu der Flasche, die schon lange leer war. Seine Vorlieben, was Alkohol anging, hatten sich ebenfalls erweitert. Und zwar auf »alles, bis auf Einbalsamierungsflüssigkeit; sollte gerade nichts anderes zur Hand sein, wäre auch das in Ordnung.«
Man würde sich also nicht an ihn als einen gut aussehenden Mann erinnern. Ebenso wenig wie an einen Mann, der sich in Getränken oder mit Liedern auskannte. Was blieb dann noch?
Das Funkeln von Stahl beantwortete diese Frage. Er betrachtete die Klinge, deren Schneide all das verkörperte, was er nicht mehr war: Sie war scharf, gepflegt und präzise. Das Messer war perfekt, drei Finger lang, mit einem polierten Holzgriff und gierig nach Blut.
Also
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