Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
seine Stimme, verschloss ihre Ohren und ihre Haut davor. Darum lauschte sie dem Nichts, tastete dem Schweigen nach. Denn es war eine Pein, die sie festhalten wollte.
Und um das zu bewerkstelligen, musste sie ihn vor ihrem Volk retten.
Sie schloss die Augen und lauschte mit ihren spitzen Ohren ins Nichts. Denn nur im Nichts konnte sie ihr Volk hören. Nur in der Stille konnte sie Naxiaw ertasten.
Selbst wenn er es nicht wollte.
Das Heulen war in letzter Zeit schwächer geworden. Auf Teji war es wild gewesen, hatte wie ein tollwütiges Tier in ihr gebrüllt und getobt. Sie jedoch war unsicher gewesen, fast zweifelnd, hatte sich vergeblich danach gesehnt, einen Shict zu spüren.
Jetzt jedoch wetteiferte es mit seiner Stimme, schlug mit Krallen nach ihr, schnappte mit Reißzähnen nach ihr, versuchte, Schweiß mit Blut zu überdecken. Es mochte ihre Entscheidung gewesen sein, dass sie Lenks Stimme immer deutlicher wahrnahm und dass das Brüllen des Instinkts immer schwächer wurde.
Aber es war nie so schwach, dass sie vollkommen von Naxiaw abgeschnitten gewesen wäre.
Hass. Entschlossenheit. Mitgefühl.
Flüchtige Emotionen. Gehütete Gedanken. Sie wusste nicht, was sie dachten, was ihre Instinkte sagten. Sie wusste nicht, woher sie kamen. Sie wusste nur, woher sie kamen.
Grünshict.
Sie waren ihr nach Jaga gefolgt. Und sie waren nah.
So nah, dass sie herumwirbelte, die Zähne fletschte und eine Hand auf ihrem Messergriff hatte, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.
Lenk schien von ihrer Reaktion nicht sonderlich überrascht zu sein. Nachdem er mehrfach versucht hatte, etwas von ihrem Essen zu stehlen, und sie ihm ausführlich beschrieben hatte, wie man jemanden skalpierte, hatte er ihre Reißzähne wahrscheinlich so häufig gesehen, dass der Schock inzwischen nachließ.
»Warum hast du auf meine Rufe nicht geantwortet?«, erkundigte er sich.
»Zu gefährlich.« Das war nicht ganz gelogen.
»Ja, klingt logisch.« Er sah sich um, ließ seine Blicke über den blutbefleckten Boden schweifen. »War wohl nicht sonderlich schlau, hier herumzurennen und zu schreien …« Seine Blicke glitten zu den Ruinen der inneren Mauer. »Schreien …« Er betrachtete die Spuren von gewaltigen Schlägen, die diese innere Mauer in Trümmer verwandelt hatte. »Schreie …«
Er hob den Blick über die innere Mauer und weiter hinauf. Und noch weiter hinauf.
»Das ist … das … also …«
»Ein Wald.« Sie seufzte und verdrehte die Augen. »So etwas hast du doch schon gesehen.«
»Das ist ein Wald aus …«
»Ein Wald aus Seetang. Ein Kelp.«
»Schon klar«, antwortete er. »Aber wo bitte ist die See?«
Der Kelp stand da und schwankte gemächlich. Seine stacheligen Blätter zitterten, während sie sich hoch in den grauen Himmel erhoben. Dass sie sich bewegten, obwohl sich kein Lüftchen regte, war längst nicht so beunruhigend wie die Geschmeidigkeit, mit der sie es taten. Sie zitterten nicht einmal wie ein Zweig im Wind. Sie schwankten geschmeidig. Unheimlich.
»Als wären sie … in einem Meer. Nur ohne Wasser.«
»Dieser Wald ist außerdem dichter als ein verdammter Fels, und er erstreckt sich anscheinend unendlich«, sagte sie und deutete mit dem Kinn auf die Straße. »Warte hier.« Sie nahm ihren Bogen von der Schulter und marschierte davon. »Ich suche nach einem Eingang.«
»Warte mal. Wäre es nicht sinnvoller, wenn ich dich begleite?«
»Ich komme schneller voran, wenn ich allein bin.«
»Seit wann?«
»Das war schon immer so. Aber jetzt nehme ich einfach keine Rücksicht mehr auf dich.« Sie fauchte, während sie davonging. »Bleib hier und bewache die Vorräte.«
Sie kam nur zwei Schritte weit, als er die Frage stellte.
»Warum?«
Es war kaum mehr als ein Flüstern, was ihr sagte, dass diese Frage nicht an sie gerichtet war. Sie hätte tun sollen, als wenn sie es nicht gehört hätte. Aber er hätte ihr das niemals geglaubt. Nicht bei diesen großen, spitzen Ohren, die deprimiert heruntersackten, als sie sich zu ihm umdrehte.
»Warum was?«
»Warum gehst du allein? Warum gehst du ständig allein weg? Warum kehrst du mir ständig den Rücken zu?«
Sie zuckte zusammen. Das war keine gute Antwort.
Sie seufzte. Diese Antwort war noch schlimmer.
»Bleib hier.«
»Ich muss mit den …«
»Bleib einfach hier!«
Es war auch ganz sicher nicht die beste Antwort, einfach davonzurennen. Aber wenigstens kam sie weit genug, damit sie ignorieren konnte, was er als Nächstes sagte. Er hatte ganz sicher
Weitere Kostenlose Bücher