Die Toskana-Verschwörung: Thriller (German Edition)
konnte. Donatellas italienisches Blut geriet in Wallung, wenn sie Robert wieder einmal von einem dieser Empfänge erzählte und sich ganz besonders über die Frauen aufregte, die sie gerne als »zu Mensch gewordene Kleenex-Tücher« bezeichnete. Gegenüber der Familie ihres Mannes, die auf Geschäftsführerstühlen und Aufsichtsratssesseln das Unternehmen kontrollierte, entwickelte sie Hassgefühle, die sich von Jahr zu Jahr steigerten.
Immer häufiger kam es zum Streit zwischen den Eheleuten, und aufgrund Donatellas vulkanartigem Temperament – eine Wesensart, die William Darling am Anfang der Beziehung so besonders reizvoll gefunden hatte – flogen nicht nur harte Worte durch die Luft. Robert, der das Leben bislang nur als eine schöne Aneinanderreihung positiver Ereignisse erlebt hatte, war geschockt. Mit Konflikten zu leben hatte er nie gelernt, und das Zerwürfnis der Eltern traf ihn tief.
Es hätte Robert nicht überraschen dürfen, traf ihn aber wie ein glühendes Messer ins Herz, als seine Mutter ihm offiziell und unter größter Anstrengung, gelassen zu wirken, mitteilte, dass ihre Ehe mit William Darling beendet sei. Kurze Zeit später packte sie ihre Koffer und kehrte zu ihrer Familie nach Italien zurück.
Zwei Wochen nachdem Donatella das Land der unbegrenzten Möglichkeiten verlassen, von ihrem Mann eine erhebliche Abfindung kassiert und ihrem Sohn das Versprechen abgenommen hatte, sie sobald wie möglich in Florenz zu besuchen, wurde William Darling, kurz nach dem Aufstehen, von einem Herzinfarkt überrascht. Da er erst Stunden später von der Putzfrau gefunden wurde, kam jede ärztliche Hilfe zu spät.
Der Familien-Clan der Darlings reagierte, wie man es von einer alteingesessenen Ostküstenfamilie mit Stammbaum bis zum britischen Baron Baltimore erwartet: Nach der minimalen Trauerzeit wurden die Geschäfte neu geordnet, und Robert erhielt neben dem Firmenanteil seines Vaters einen Stuhl im Vorstand des Unternehmens. So hatte William Darling es in seinem Testament bestimmt. Zur großen Verblüffung seines Sohnes, der bei dessen Verkündung zum ersten Mal von dieser Rochade erfuhr. Den Sessel des Vorstandsvorsitzenden besetzte Frederic Darling, der jüngere Bruder des Verstorbenen, mit dem Robert, solange er sich erinnern konnte, nicht mehr als fünf zusammenhängende Sätze gewechselt hatte.
Seinen Job bei der NSA hatte er bereits vor einiger Zeit quittiert, weil er durch die abgeschirmte Welt von Crypto City Veränderungen an sich festgestellt hatte, die ihm nicht sonderlich gut gefielen. Zum Beispiel, dass er sich nur noch mit Crypto-Leuten umgab. Die normalen Freunde aus dem Leben vor seiner NSA-Zeit hatten sich nach und nach zurückgezogen. Nun lebte Robert in einer Art Karenz-Zeit, die das Gesetz bei der Entlassung nationaler Geheimnisträger vorschreibt.
Dem Antrag, in die väterliche Firma eintreten zu können, wurde dennoch stattgegeben. Nervös blickte Robert seiner ersten Vorstandssitzung entgegen. In diesem Meeting begriff er, warum der Onkel nie mehr als fünf zusammenhängende Sätze mit ihm gewechselt hatte. Er sah in Robert das Bürschchen, dem alles mundgerecht serviert wurde, während er selbst sich alles hart erarbeiten musste. Und der erkannte schnell, dass aus seiner Zukunft im Familienunternehmen unter dieser Voraussetzung nichts werden würde. Am Ende der Sitzung stand für Robert fest: Schluss mit Darling & Son , Schluss mit Baltimore, Schluss mit den Vereinigten Staaten. Ein völlig neues Leben musste her.
Die Verhandlungen um seinen Austritt aus der Firma gestalteten sich mühsam, bereiteten Robert aber viel Vergnügen. Ihm war jedes Detail über die Liquidität der Firma bekannt. Innerhalb weniger Wochen hatte er sich das gesamte Insiderwissen zu Eigen gemacht und darüber hinaus Unregelmäßigkeiten entdeckt, die seine Verhandlungsposition erheblich stärkten.
Und so verließ Robert Darling eines Morgens mit sechs Koffern, zwei Bücherkisten und einem Schachspiel aus der Renaissance, das seine Mutter ihm zum dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte, sowie einer bemerkenswerten Summe auf seinem Konto in der Business Class einer Boeing 747 der American Airlines das Land seines Vaters, um herauszufinden, ob ihm das Land seiner Mutter näherstehen würde.
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»Du kommst spät!« Der Grauhaarige stand vor dem Bücherbord mit dem Rücken zur Tür und blätterte in der neuesten Ausgabe des Gambero Rosso . Obwohl der Besucher sich bemühte, leise aufzutreten, hallten seine
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