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Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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den Kindern präsentierte. »Ecco! Wie steht sie mir, die Jacke eures Vaters?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern begnügte sich mit Felix’ Lachen und Carolins zögerndem Nicken. »Gehen wir nun zum Friedhof? Ich möchte noch heute Lucia begrüßen, ihr sagen, dass ich gekommen bin …«
    Es war nicht weit vom Süder Wung zum Friedhof. Sie gingen am Wenningstedter Dorfteich vorbei, der noch nicht lange vom Eis befreit war, und steuerten auf die Kirche zu. Dahinter lag der Friedhof. Erik öffnete die Pforte und ließ Mamma Carlotta eintreten. Seine Kinder folgten ihr, während er selbst umständlich die Pforte wieder schloss. Er wusste, dieser Besuch an Lucias Grab musste sein, wenn er sich auch noch so fürchtete vor den Tränen seiner Schwiegermutter, die sich verdoppeln und verdreifachen würden in den Augen seiner Kinder. Er fürchtete sich vor dem Seufzen, den Klagen, dieser lauten Trauer, die ihm unerträglich war. Mit gesenktem Kopf folgte er Mamma Carlotta, die aufrecht zwischen ihren Enkeln herging. Er starrte auf ihre Füße, und ihm fiel auf, dass sie in modischen Schuhen steckten, wo sie doch in Umbrien immer nur Pantoletten getragen hatte, im Sommer weiße und im Winter schwarze. Daneben Felix’ riesige Turnschuhe, die er nur locker schnürte, damit sie breit und klobig aussahen. Auf der anderen Seite Carolins unauffällige braune Halbschuhe, die kurz unter dem Saum ihrer unauffälligen Jeans begannen, dazwischen zwei Zentimeter beige Socken, ebenso unauffällig.
    Mamma Carlotta veränderte ihr Tempo nicht. Zwar gab es viel zu sehen auf diesem Friedhof, der so ganz anders war als italienische Friedhöfe, aber sie ließ den Blick nicht schweifen, sondern starrte nur auf den Weg, der sie zu Lucias Grab führte. Carlotta Capella geleitete ihre Tochter zur letzten Ruhe, zwei Jahre nach ihrem Tod.
    Sie seufzte und klagte nicht, als sie das Grab erreicht hatten, weinte nur ganz leise. Erik war ihr dankbar. Auch dafür, dass sie nicht darauf bestanden hatte, Blumen zu kaufen, um sie Lucia aufs Grab zu legen. Erik wollte nichts Pompöses, keine großen Gesten. Das kleine Viereck in der weiten Rasenfläche sollte so bleiben, wie er es geschmückt hatte. Unaffektiert und ohne Prunk. So wie der ganze Wenningstedter Friedhof. Erik war stolz darauf, dass es hier keine Gräberreihen gab, keine langen schmalen Rechtecke, so lang und schmal wie Lucias Sarg, keine Nähe zum nächsten Grab, zur nächsten Trauer. Erst recht war er froh, dass er Lucia nicht einer marmornen Wand überlassen musste, die in Italien ihre letzte Ruhestätte geworden wäre. Der Wenningstedter Friedhof war wie ein kleiner Park, die Gräber waren über die Rasenfläche verteilt wie bescheidene bunte Beete, hinter denen nur zufällig ein Stein stand, der einen Namen trug.
    Mamma Carlotta stand mit gefalteten Händen da und weinte. Felix und Carolin weinten mit ihr. Und Erik stand hinter ihnen und starrte auf ihre Schultern. Erst ganz allmählich fiel die Sorge von ihm ab, dass Mamma Carlotta laut die Heiligen anrufen und damit den Wenningstedter Küster, der gerade auf die Kirchentür zuging, zu Tode erschrecken könnte.
    Mamma Carlotta drehte sich plötzlich zu ihm um. »Grazie, Enrico«, sagte sie leise. »Das hast du wunderbar gemacht. Benissimo. Che belle, diese … wie sagt man … Stiefmütterchen, vero? Und die weißen Kiesel! Weiß passte zu ihr. Bianca! Eigentlich sollte meine Tochter Bianca heißen! Aber Dino …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern wiederholte: »Grazie!«
    Er hätte beinahe einen Schritt auf sie zu gemacht, einen kleinen Schritt. Aber ihre Hände streckten sich bereits, öffneten sich, wollten nach ihm greifen … Da wandte er sich um, strich seinen Schnauzer glatt und steckte die Hände in die Taschen. »Lasst uns nach Hause gehen«, brummte er, »ich habe Hunger.«
    Wieder sorgte er dafür, dass die drei vor ihm hergingen. So hatte er Gelegenheit, sich umzudrehen und einen Blick  auf Lucias Grab zurückzuwerfen.
    »Was ist zu essen im Haus? Habt ihr Spaghetti?« Mamma Carlotta lief in die Küche, ohne die Jacke auszuziehen. »Knoblauch? Olivenöl? Petersilie? Pfefferschoten? Dann haben wir schon il Primo piatto. Spaghetti con aglio, olio e peperoncino.« Sie öffnete die Kühlschranktür und griff nach einem Salatkopf. »Va bene! L’antipasto. Nun noch ein paar Kalbsschnitzel oder Cotolette …« Zweifelnd hielt sie ein Paket zusammengeschweißter Speckscheiben in die Höhe. »Dann eben Frittata in

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