Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
ausgeschenkt wird, ist übrigens nicht zu verachten«, erzählte Mamma Carlotta. »Und stellt euch vor: Käpten Tove ist mal in Piombino an Land gegangen. Das war wohl, bevor sein Schiff vor Gibraltar sank.«
Erik fiel die Pfeife aus der Hand, die er gerade erneut zum Glühen gebracht hatte. »Du warst in Käptens Kajüte?«
»Certo! Ein netter Mann, dieser Kapitän. Der Strandwärter schien ihm aber nicht zu glauben, dass sein Kahn vor Gibraltar gesunken ist. Stell dir vor, Enrico, er behauptet, Tove Griess hätte zu der Zeit in Niebüll im Gefängnis gesessen.«
»Strandwärter?« Erik blieb der Mund offen stehen. »Meinst du Fietje Tiensch?«
»È vero, so hieß er. Er wollte mich erst nicht an den Strand lassen, aber als ich ihm erklärt habe, dass ich die Schwiegermutter des Hauptkommissars bin, hat er es sich ganz schnell anders überlegt. Du bist wirklich eine … wie soll ich sagen … eine Respektsperson auf dieser Insel, Enrico.«
»Fietje ist ein Spanner«, erklärte Felix und grinste.
»Und Tove Griess ein Lügner«, fügte Carolin an und betrachtete ihre Großmutter, als habe die sich von einem Gauner etwas Wertloses andrehen lassen.
»Die Kinder haben Recht«, bestätigte Sören. »Sie dürfen Tove Griess nicht alles glauben, Signora. Und Fietje Tiensch ist ein unangenehmer Kerl, der sich überall herumdrückt, wo er nichts zu suchen hat.«
»Ein Spanner eben!«, wiederholte Felix und freute sich, dass er den Spaß an diesem Wort noch einmal auskosten durfte. Umständlich erklärte er seiner Nonna, was es mit dem Begriff Spanner auf sich hatte. »Er guckt in fremde Schlafzimmer«, schloss er, »und sieht den Leuten zu, wenn sie Sex haben.«
Mamma Carlotta bekreuzigte sich hastig. »Wie kannst du über so was reden, Felice?«
Sören wurde plötzlich nachdenklich. »Vielleicht sollten wir uns Fietje mal vornehmen. Heute Morgen hat er heimlich die Arbeit der Spurensicherung beobachtet. Vielleicht hat er ja auch am Sonnabend etwas gesehen.«
»Das hätte er doch der Polizei gemeldet«, gab Carolin zu bedenken.
Erik sah sie an, als hätte er vergessen, dass seine Kinder mit am Tisch saßen. Langsam sagte er: »Fietje gehört zu denen, die mit der Polizei nichts zu tun haben wollen. Aus gutem Grund! Wenn er sich noch einmal auf fremden Grundstücken erwischen lässt, ist er seinen Job als Strandwärter los.« Er kaute auf seiner Pfeife herum, während Sören dem Nachtisch zu Leibe rückte und Mamma Carlotta den Kindern einen frühen Hungertod prophezeite, wenn sie nicht bereit waren, gute Mahlzeiten mit guten Dolci zu beenden.
»Sie haben Recht, Sören«, nickte Erik, »wir werden mit ihm reden.«
»Und was ist mit Tove?«, meinte Sören. »Wenn Fietje was weiß, hört Tove es, sobald er seine Imbissstube geöffnet hat. Und wenn Tove in der Sparkasse etwas gehört hat, weiß Fietje es, bevor er sein erstes Jever bestellt.«
Mamma Carlotta entdeckte eine Chance, für ihre beiden neuen Bekannten eine Lanze zu brechen. »Die beiden scheinen enge Freunde zu sein. Sie reden miteinander und helfen sich gegenseitig. Schön, so eine Männerfreundschaft!«
»Von wegen!«, gab Erik zurück. »Die beiden sind allerbeste Feinde. Dass sie ständig zusammenhocken, hat nur einen Grund: Niemand sonst will etwas mit ihnen zu tun haben. Keiner von den Syltern jedenfalls. Die Touristen zählen nicht.«
»Warum sollten sie Feinde sein?« Mamma Carlotta öffnete die oberen Knöpfe ihres Blümchenkleides, die interessanten Neuigkeiten schienen sie zu erwärmen.
Erik betrachtete die Löckchen, die sich feucht über ihren Ohren kringelten. »Es gab da mal was zwischen Tove und Fietje«, entgegnete er. »Ich glaube, es ging um eine Frau. Toves Schwester, wenn ich mich nicht irre.«
»Die ist vor vielen Jahren ermordet worden«, sagte Sören. »Das hat mir Uwe, einer der Strandwärter in List, erzählt. Fünfzehn Jahre soll es her sein, dass Toves Schwager feststellte, dass seine Frau ihn betrog. Aus Eifersucht hat er sie erschlagen. Es war Mord. Kaltblütig geplant. Deswegen hat er lebenslänglich bekommen.«
»Und der Liebhaber?«, fragte Mamma Carlotta atemlos.
»Der sollte eigentlich auch dran glauben, wenn ich mich recht erinnere«, überlegte Sören laut, »aber aus irgendwelchen Gründen hat der Ehemann ihn nicht erwischt.«
»Und was hat Fietje damit zu tun?«, fragte Felix.
»Ich glaube …« Sören zögerte, als müsste er zunächst abwägen, ob den Kindern dieses Gespräch zuzumuten sei, aber dann
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