Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
war.
»Ich wollte nur eben …«, begann er, und sein frisch poliertes Winterapfelgesicht färbte sich noch eine Spur dunkler. Schon saß er auf einem Stuhl, vor sich einen Teller mit dampfenden Spaghetti. »Aber ich wollte nur eben …«
»Gibt’s Neuigkeiten?«, fragte Erik, als Sören seinen Widerstand aufgab und zur Gabel griff, um die Spaghetti aufzuwickeln.
Sören nickte. »Ich habe diesen Matthias Braun ausfindig gemacht. Ein Geschäftsmann aus Hamburg, der kurz vor der Pleite steht. Um seine kleine Firma zu retten, versucht er, alles zu Geld zu machen, was er erübrigen kann.«
»Zum Beispiel seine Kunstsammlung?«, mutmaßte Erik.
Sören nickte. »Die vierzigtausend Euro, die Christa Kern ihm für ein Bild geboten hat, hätten ihn ein Stück weitergebracht. Er wollte heute die Gehälter davon zahlen.«
»Warum wollte er das Geld bar haben?«
»Warum wohl?«, fragte Sören zurück. »Leute, denen das Wasser bis zum Halse steht, wollen immer Barzahlung. Aber Geldwäsche, Versicherungsbetrug und Steuerhinterziehung fallen ja nicht in unser Ressort.«
Sören machte nun keinen Versuch mehr, sich Mamma Carlottas Fürsorge zu entziehen, sondern leerte jeden Teller, den sie vor ihn hinstellte.
»Und dann habe ich Erkundigungen über Christa Kern und ihren Mann eingezogen«, erzählte er kauend. »Christa Kern ist eine geborene Witzmann. Sie stammt aus einer braven Handwerkerfamilie, in der nie jemand auffällig geworden ist. Ihre Eltern waren biedere Leute, die beiden Töchter wuchsen problemlos heran. Mittlere Schulbildung, nichts Auffälliges. Besonders hübsch waren sie beide nicht, trotzdem schaffte es Christa, sich einen reichen Mann zu angeln.«
Erik erhob sich, um nach seinem Tabak zu suchen, damit er seine Pfeife neu stopfen konnte. Schon bald paffte er ein paar Rauchwolken in die Küche, die Mamma Carlotta mit den Händen in eine Ecke des Raums wedelte, während Carolin einen Teil ihrer Strickjacke vors Gesicht zog. »Und dieser Kern? Was war mit dem?«, fragte Erik.
Sören hob die Schultern und gleichzeitig die Gabel zum Mund. »Über Alfred Kern gibt es auch nichts Besonderes zu berichten. Ein erfolgreicher Unternehmer, der seine Firma auf ihrem Höhepunkt verkaufte, um von da an ein bequemes Leben als Privatier zu führen. Er war Witwer, als er Christa heiratete, die ein gutes Stück jünger war. Er hatte einen Sohn, über den ich nichts herausbekommen habe.« Er sah seinen Chef fragend an. »Aber der ist ja auch nicht weiter wichtig, oder?«
»Alles kann wichtig sein«, entgegnete Erik. »Wir müssen Christa Kerns ganzes Umfeld ausleuchten.«
»Das dürfte leicht sein«, entgegnete Sören. »Ihr Umfeld ist sehr übersichtlich.«
»Also versuchen Sie, diesen Stiefsohn ausfindig zu machen«, sagte Erik. »Er muss doch ohnehin wissen, dass seine Stiefmutter gestorben ist. Sicherlich gibt es in Christa Kerns Haus seine Adresse, seine Telefonnummer, irgendetwas. Kann ja nicht so schwer sein. Er trägt schließlich auch den Namen Kern.«
Die Dunkelheit senkte sich über das Haus am Süder Wung, der Sturm rüttelte an der Haustür und drückte schließlich sogar ein Fenster auf, das nicht richtig geschlossen worden war.
Mamma Carlotta fröstelte, als der Wind in die Küche fuhr, und atmete erleichtert auf, als Erik das Fenster eilig schloss. Dann erzählte sie, dass es während ihrer Kindheit auch in Umbrien einmal einen Sturm gegeben habe, der die Blumentöpfe vor den Haustüren weggefegt und den Berg hinabgerollt hatte. »Die Mutter einer angeheirateten Cousine wurde von einer umherfliegenden Petunie getroffen und wusste anschließend nicht mehr, wie sie hieß.«
Sie lauschte eine Weile auf das Treiben des Sturms. Dann fragte sie versonnen: »Wie mag das Meer aussehen bei diesem Wind?«
Erik sah sie erstaunt an. »Möchtest du etwa einen Spaziergang am Strand machen?«
»Dio mio!« Mamma Carlotta schlug die Hände vor den Mund. »Hast du etwa meine arme Lucia bei einem solchen Wetter zum Strand gelockt?«
Erik antwortete nicht. Er lächelte in sich hinein, sein Blick fiel auf Sören, der keine Anstalten machte, nach Hause zu gehen, obwohl der dienstliche Teil der Unterhaltung weiß Gott beendet war. Und satt musste er eigentlich auch sein! Aber Sören hing immer noch an Mamma Carlottas Lippen, bestaunte ihr rollendes R, ihre flinke Zunge, ihren deutschen Wortschatz und die vielen schnellen Bewegungen, zu denen sie gleichzeitig fähig war.
»Der italienische Rotwein, der hier auf Sylt
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