Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
fuhr er fort: »Ich glaube, er war der Liebhaber.« Abwehrend hob er die Hände. »Sicher bin ich nicht. Der Uwe redet viel, wenn der Tag lang ist.«
Erik nickte, griff nach den Streichhölzern und zündete sich die Pfeife ein drittes Mal an, obwohl sie noch glühte. »Fünfzehn Jahre«, murmelte er. »Womöglich wird der Mörder von Toves Schwester in diesen Tagen entlassen.«
Plötzlich klingelte das Telefon.
Dr. Hillmot war am anderen Ende. »Moin, Wolf«, sagte er. »Die Tatzeit steht jetzt fest. Samstag zwischen 16 und 22 Uhr. Genauer geht’s leider nicht.«
»Danke, Doktor.« Erik legte auf, ohne das Gespräch noch mit höflichen Abschiedsworten zu vertrödeln. So, wie es in der Polizeistation von Westerland üblich war. Dann ging er in die Küche zurück. »Es gibt Arbeit, Sören. Wir können nun die Alibis überprüfen. Mal sehen, wer keins hat – Heide Pedersen oder Bernadette Frenzel.«
6
Als Erik am nächsten Morgen die Treppe hinabstieg, war es noch still im Haus. Der Zeiger der Uhr rückte auf sieben vor, in wenigen Minuten würden in den Kinderzimmern die Wecker für Unmut sorgen. Felix würde so lange über die frühe Morgenstunde fluchen, bis Carolin die Badezimmertür hinter sich abgeschlossen hatte, und dann noch lauter schimpfen, weil sie ihn nicht hereinließ. Wenn er dann die Treppe herunterpolterte, würde die Schnalle seines Rucksacks das Geländer zerkratzen, er würde wie jeden Morgen mit einem einzigen Schritt den Teppichvorleger von seinem angestammten Platz vor der Treppe in die Nähe der Haustür bugsieren, sodass die sich später nicht vollends öffnen ließ. Sobald Carolin sich dann mit einem schwachen »Moin« in die Küche gedrückt hatte, würden Diskussionen einsetzen, wer für welchen Handgriff zuständig war und warum das Brot noch nicht im Toaster steckte und die Marmelade nicht auf dem Tisch stand.
Nicht dass Erik damit gerechnet hatte, die Fürsorge seiner Schwiegermutter würde an diesem Morgen einen Teil der lautstarken Streitigkeiten überflüssig machen! Trotzdem war er enttäuscht, als es in der Küche ruhig war und ihn kein Kaffeeduft begrüßte. Aber natürlich schlief Mamma Carlotta noch, die Reise hatte sie angestrengt. Und außerdem war von einer Italienerin sowieso kein gutes Frühstück zu erwarten. Lucia hatte morgens an einem Espresso genippt, einen Zwieback geknabbert und die Butter, die Erik auf sein Toastbrot strich, angewidert betrachtet. Ob Mamma Carlotta in der Küche herumwerkelte oder nicht, machte also keinen Unterschied. Nur einen: Erik würde, solange sie schlief, seine Ruhe haben. Ein angemessener Preis dafür, dass er sich selbst seinen Kaffee kochen musste.
Er öffnete die Haustür einen Spalt, schnappte sich die Tageszeitung, die hinter dem Türknauf steckte, und faltete sie auseinander, kaum dass er die Tür geschlossen hatte. Die Titel-Schlagzeile sprang ihn an.
Mord in Kampen! Polizei verfolgt bereits heiße Spur!
» Na, die Jungs wissen anscheinend wieder mehr als ich«, brummte er.
Ein Foto von Christa Kerns Haus und eine Aneinanderreihung vieler Mutmaßungen, mehr konnte das Sylter Inselblatt noch nicht bieten. Fakten gab es nur wenige, aber er würde damit rechnen müssen, dass die Reporter bereits in seinem Büro auf ihn warteten.
Erik stutzte, als er in die Küche ging und sein Blick auf die Garderobe fiel. Wo war die Jacke geblieben, die er seiner Schwiegermutter überlassen und eigenhändig dort aufgehängt hatte?
Er betrat die Küche, füllte Wasser in die Kaffeemaschine, öffnete die Kühlschranktür und stellte alles auf den Tisch, was zum Frühstücken benötigt wurde. Sören würde pünktlich sein Fahrrad vor dem Haus abstellen, gemeinsam wollten sie dann mit dem Wagen zum Tatort fahren. Erik blickte auf die Uhr. Die Spurensicherung war vermutlich schon dort. Das Haus musste noch einmal gründlich durchsucht werden. Vielleicht fand sich ja ein Hinweis auf den Dieb der vierzigtausend Euro und damit auf den Mörder.
In Carolins Zimmer begann der elektronische Wecker zu zirpen, der kurz darauf abgestellt wurde, in Felix’ Zimmer krähte ein Hahn, der erst als Eriks Nervenkostüm dem Zusammenbruch nahe und der Hahn kurz vor dem Zustand akuter Heiserkeit war, endlich zum Schweigen gebracht wurde.
Der Schlüssel der Badezimmertür drehte sich quietschend im Schloss, Felix pochte gegen die Tür, verwünschte lauthals alles, was mit weiblicher Schönheit und übermäßiger Körperpflege zu tun hatte … trotzdem hörte
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