Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
man auch so blöd sein, zwei Tage umsonst zu arbeiten.«
Tove schien einiges auf der Zunge zu liegen, aber da ein Kunde den Imbiss betrat, schluckte er es wieder runter. »Moin! Was darf’s sein?«
Mamma Carlotta hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn der junge Mann nicht gestutzt, ihr erst einen kurzen Blick und dann noch einen langen prüfenden zugeworfen hätte. »Eine Currywurst, bitte. Ich muss mal was anderes als Fisch zwischen die Zähne kriegen.«
Tove nickte, drehte sämtliche Bratwürste herum, die auf dem Rost lagen, und tat so, als suchte er die schönste aus. »Mit Pommes?«, fragte er, während er die Wurst zerschnitt, Ketschup darübergoss und das Ganze mit Currypulver bestäubte.
»Ja, Pommes mit Mayo.«
Mamma Carlotta hatte den jungen Mann am Vormittag nur kurz gesehen, als er zwischen den Perlenschnüren in Andresens Wohnstube erschienen war. Dicke Schweißperlen standen jetzt auf seiner Stirn, die er hastig wegwischte, als er merkte, dass er beobachtet wurde. Gebannt starrte er auf Toves Hände, als hätte er Angst, in ein Gespräch gezogen zu werden. Und als er auf sein Wechselgeld wartete, fuhr er sich über den Unterbauch, als wollte er sich vergewissern, dass sein Hosenschlitz geschlossen war.
Kaum hatte er den Imbiss wieder verlassen, sagte Fietje: »Das war der Auslieferer von Fisch-Andresen.«
»Weiß ich doch«, brummte Tove.
»Ich hab den mal mit Ulla Andresen beobachtet«, erzählte Fietje, »als ihr Mann nicht zu Hause war …«
»Hast du wieder durchs Fenster geguckt?«, höhnte Tove. »Haben die beiden es miteinander getrieben? Willst du uns jetzt haarklein erzählen, wovon Wolf Andresen keine Ahnung hat? Pass nur auf, dass er dir nicht den Hals umdreht oder dich anzeigt, wenn er hört, was du seiner Frau anhängen willst.«
»Ich hab ja nur gesagt, dass ich die beiden gesehen habe.« Fietje kippte den Grog hinunter und rutschte von seinem Thekenhocker. »Großmaul!«, knurrte er.
»Spanner!«, gab Tove zurück.
»Bin ich eigentlich der Einzige, der dich am Sonnabend in der Nähe von Christa Kerns Haus gesehen hat?«
»Weiß ich doch nicht«, brummte Tove. »Und wenn schon! Warum soll ich nicht den Sonnabend in Kampen verbringen? Ich habe in der Kupferkanne gepflegt Kaffee getrunken und bin dann noch ein bisschen am Wattenmeer spazieren gegangen.«
Fietje tippte sich an die Stirn. »Wer’s glaubt, wird selig.«
Mamma Carlotta fühlte sich nicht mehr wohl. Als hätte sie einen Anstandsbesuch gemacht, dessen Maximalfrist soeben abgelaufen war, stellte sie das Rotweinglas zurück. »Es wird Zeit, die Vorbereitungen fürs Abendessen zu treffen.«
Tove sah auf die Uhr. »Jetzt schon? Wenn Sie wollen, packe ich Ihnen Currywurst für die ganze Familie ein, Signora.« Als Mamma Carlotta dankend ablehnte, schlug er sich vor die Stirn. »Hab ich vergessen! Unsere Plauderstündchen in Käptens Kajüte sollen ja unser Geheimnis bleiben.«
Mamma Carlotta zog das Fahrrad hervor, das sie hinter einer Mülltonne verborgen hatte, weil es zwar ein Schloss besaß, zu dem sich jedoch kein Schlüssel gefunden hatte. Sie blieb eine Weile neben dem Fahrrad stehen, um sich zu konzentrieren. Ein Glas Rotwein würde doch ihrem Gleichgewichtssinn nichts anhaben können? Wenn sie auch an ihren täglichen Rotwein gewöhnt war - vor dem Fahrradfahren hatte sie nie Alkohol getrunken. Damals, als sie Marina auf dem Weingut ihrer Eltern besuchte, war sie ja noch viel zu jung für Rotwein gewesen.
Dann hatte Mamma Carlotta lange genug nachgedacht und war zu der Überzeugung gekommen, dass ihr Gleichgewichtssinn völlig in Ordnung war. Sie schob das Fahrrad auf den Hochkamp, damit genug Platz fürs Schwanken war, bis sie genug Fahrt aufgenommen hatte, um auf der Westerlandstraße keinem Autofahrer vor die Vorderräder zu geraten, der nicht mit einer italienischen Kunstradfahrerin rechnete.
Sie hatte gerade den Fuß auf die Pedalen gesetzt, da wurde sie von hinten angesprochen: »Sorry, kann ich Sie was fragen?«
Mamma Carlotta drehte sich um. Ein großer, schlanker Mann stand vor ihr, der, als sie ihn forschend betrachtete, seine rote Schirmmütze tief ins Gesicht zog. »Der Mann, mit dem Sie da gerade gesprochen haben …«
»Sie meinen den Wirt?«
»Nein, den anderen. Ich meine den Mann, der neben Ihnen an der Theke saß. Kennen Sie den?«
»Certo! Warum fragen Sie?«
»Ist das Fietje Tiensch?«
»Sie kennen ihn also auch?«
»Ich war mir nicht sicher. Ich habe ihn lange nicht
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