Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Verkaufsraum, sah, dass Wolf Andresen eine Schublade durchsuchte, hörte dann Schlüssel klimpern und anschließend Andresens Stimme: »Ich fahre den Wagen selbst weg.«
Dann wurde es wieder still im Laden, Mamma Carlotta überprüfte ihre Einkaufsliste. Hatte sie an alles gedacht?
Saskias Keuchen wurde heftiger, wie immer, wenn sie etwas sagen wollte und zunächst einen ausreichenden Vorrat an Atemluft schaffen musste, um den Satz durchzustehen.
»Und der Polizistenwolf?«, fragte sie mühsam. »Ist der auch stark und mutig?«
»Nein, der ist böse«, kam es wie aus der Pistole geschossen von ihrer Mutter zurück. »Richtig böse! Vor dem müssen wir uns in Acht nehmen.«
Mamma Carlotta warf den Stift auf den Tisch, sodass er an die Wand prallte, zurückrollte und zu Boden fiel. Ihr Schwiegersohn, ein böser Wolf? Am liebsten hätte Mamma Carlotta die Perlenschnüre zerrissen und die Bastei der Ungläubigen gestürmt. Die Inquisition war nichts gegen eine italienische Mamma, deren Familienangehörige beleidigt wurden.
»Aber er wird dir nichts tun«, sprach Ulla Andresen weiter. »Der starke Wolf wird, wenn er wirklich stark ist, den bösen Wolf besiegen.«
Mamma Carlotta ging in den Verkaufsraum, stellte sich angriffslustig hinter die Theke und sah drohend in die toten Fischaugen. Wer Erik Wolf besiegen wollte, musste auch gegen Carlotta Capella antreten! Und wer Erik einen bösen Wolf nannte, durfte sich nicht wundern, wenn er plötzlich einem ganzen Rudel gegenüberstand!
Die Ladenglocke schepperte erneut, Wolf Andresen durchschritt den Ladenraum. »Wo Björn sich nur rumtreibt!«, murrte er. Dann stand er wieder neben seiner neuen Aushilfskraft. »Haben wir jetzt alles?«
Mamma Carlotta nickte. »Wenn die Zutaten im Haus sind, fange ich morgen mit dem Marinieren an, übermorgen kann alles in den Verkauf gehen.«
Andresen nickte zufrieden. »Ich glaube, die Idee mit den italienischen Vorspeisen ist wirklich gut.«
»Jedenfalls ist es einen Versuch wert«, bestätigte Mamma Carlotta und band die Schürze ab. »Ich werde morgen rechtzeitig wiederkommen.«
Andresen öffnete die Kasse und legte ihr einen Zehneuroschein in die Hand. Mamma Carlotta war sich darüber im Klaren, dass sie als Putzfrau bei Gosch mehr bekommen hätte, aber sie ließ sich nichts anmerken. Zum einen sollte Andresen ja glauben, dass sie nur aus Langeweile bei ihm arbeitete, zum anderen war dies ihr erstes selbst verdientes Geld. Eigentlich ein Grund, den Zehneuroschein auf der Stelle in Torte und Cappuccino anzulegen!
»Sagten Sie nicht, Sie hätten niemanden auf Sylt, den Sie kennen?«, fragte Andresen, als sie sich zum Gehen wandte. »Mindestens einen Bekannten scheinen Sie aber doch zu haben. Er ist schon dreimal an der Haustür vorbeigefahren. Und er hat Sie verfolgt und von der Straßenecke aus beobachtet, als Sie ankamen und Ihr Fahrrad vor dem Haus abstellten.«
Mamma Carlotta runzelte die Stirn. »Unmöglich! »
»Ein Kerl mit einem zerbeulten Lieferwagen. Vielleicht ein Verehrer?«
Mamma Carlotta fand, dass sein armseliger Scherz keine Belohnung verdient hatte. Sie rief einen Abschiedsgruß durch den Perlenvorhang und sah im Gehen, dass Andresen die beiden Schnüre, die sich verheddert hatten, sorgfältig voneinander löste. Bevor sie die Tür ins Schloss zog, hörte sie ihn rufen: »Björn! Verdammt, wo ist der Kerl?«
Mamma Carlotta hätte es ihm verraten können, denn sie sah den Auslieferer kurz darauf über den Bahnhofsvorplatz gehen. Er hielt eine kleine Ledermappe mit beiden Händen umklammert und drückte sie an seine Brust, als enthielte sie etwas sehr Kostbares.
Mamma Carlotta schwang sich wieder auf ihren Sattel und machte sich daran, die Ampelkreuzung zu überqueren. Das nahm sie körperlich und geistig derart in Anspruch, dass sie den Auslieferer längst vergessen hatte, als sie den Weg einschlug, der sie zurück nach Wenningstedt führte.
Sören drückte die Tür auf und kam über die Schwelle wie ein Schüler, der gerade durch die Prüfung gefallen war.
»Haben Sie was rausbekommen?«, fragte Erik. »Oder hat man in Boston etwa Ihr Englisch nicht verstanden?«
»Saskias Operation ist für kommenden Dienstag geplant. Das Kind soll mit seiner Mutter am Wochenende in Boston eintreffen.«
Erik legte seinen Kugelschreiber zur Seite und lehnte sich zurück. »Dr. Hillmot hat das Ergebnis des DNA -Tests für heute Abend versprochen, aber wahrscheinlich wird er uns auf morgen vertrösten. Er hält ja
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