Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Zeigefinger hinterher, der zitternd aus dem alten Sprossenfenster zeigte. Im Garten brannten Lampions.
»›Die Asche, die Asche‹, sagte sie immer wieder. Ich habe ihr Licht gemacht, damit sie nach Hause findet.«
»Asche?«, fragte Georg nachdenklich und warf Johan einen skeptischen Blick zu. »Vielleicht sollten wir deinen Sohn anrufen und ihn bitten herzukommen, meine liebe Helny.«
»Sie hatte langes dunkles Haar und trug ein Kleid. Genau wie man sie sich vorgestellt hätte«, fuhr Frau Wilson fort und rang die Hände.
»Es stand also eine Frau in deinem Garten? Da in der letzten Zeit einige unheimliche Dinge passiert sind, kann ich verstehen, wenn du …«
»Ich weiß, was ich gesehen habe. Eine Frau. Sie stand da draußen.« Wieder zeigte Frau Wilson in den Garten.
»Aber wer war das?«, fragte Johan.
»Ihr wisst, wer es ist. Malin. Ich habe nie ganz geglaubt, was über dieses Haus gesagt wird, aber seit gestern weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Das Viertel hier heißt ja ›Hexe‹ nach Malin im Winkel, die hier im siebzehnten Jahrhundert lebte und als Hexe beschuldigt wurde. Sie wurde hingerichtet, und das Haus wurde niedergebrannt.Ich weiß, dass einige Leute behaupten, dieser Ort sei verflucht und der Garten wäre nur wegen der Asche von Malins Haus so schön, aber das stimmt nicht. Du, Georg, weißt genau, dass ich mich diesem Garten mit ganzer Seele gewidmet habe.« Wieder sah sie aus dem Fenster. Johan folgte ihrem Blick.
»Steht sie jetzt auch da?«, fragte er, um Frau Wilsons geistigen Zustand auf die Probe zu stellen.
»Nein, nein, jetzt nicht.« Sie schien Johan durchschaut zu haben, denn ihre Antwort klang müde und ein wenig verärgert.
»Hast du sie erkannt?«, fragte er, doch diesmal antwortete sie nicht. Er wartete einen Augenblick, bevor er fortfuhr. »Wann hast du die Frau gesehen?«
»Ich glaube, sie kam aus dem Rathaus. Da wurden sie ja eingesperrt. Im Keller. Die Hexen.«
Georg sah Johan verwundert an. Er schien auch nicht zu wissen, was er glauben sollte.
»Aber meine liebe Helny, das ist doch dreihundertfünfzig Jahre her.« Georg hatte offenbar das Interesse an dem seltsamen Gespräch verloren.
»Warst du heute Abend unten im Keller?«, fragte Johan.
»Irgendjemand hatte vergessen, den Eingang an der Långgatan abzuschließen. Als ich ging, war er noch offen. Das ist ein böses Omen.« Sie starrte mit leerem Blick vor sich hin.
»Wir wollten uns nur vergewissern, dass du gut nach Hause gekommen bist. Gute Nacht, Helny.« Georg deutete an, dass sie aufbrechen würden.
»Das ist mal eine Kehrtwende«, sagte Johan vor der Haustür. »Asche und Hexen. Dabei hat sie nie daran geglaubt. Und ein böses Omen.«
»Ich werde ihren Sohn anrufen. Er muss kommen und nach ihr sehen.«
»Glaubst du, sie hat eine Schraube locker?«, fragte Johan.
»Ich weiß es nicht. Ich hatte eine Schwester, die geistig beängstigend schnell abgebaut hat. Sie brachte alles durcheinander. An ihre Kindheit und Dinge, die vor langer Zeit passiert waren, konnte sie sich erinnern, aber das Kurzzeitgedächtnis war so gut wie weg.«
»Frau Wilson dagegen hat keine Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Sie hat nur viele seltsame Dinge von sich gegeben. Das sieht ihr gar nicht ähnlich.«
Georg winkte ab. »Wir werden alle nicht jünger. Die jüngsten Ereignisse haben sie bestimmt nicht kaltgelassen. Alles andere wäre auch ein Wunder.«
Keiner von beiden sah die Gestalt, die sie aus dem Garten von Frau Wilson beobachtete. Einen Augenblick später wurde die Gestalt wieder von der Dunkelheit verschluckt.
Folke fuhr mit dem Auto vom Präsidium nach Hause in sein Reihenhaus in Mölndal und dachte über die Frau nach, die im Rosenlund aufgefunden worden war, Ann-Louise Carlén. Asko hatte alle Fragen so korrekt wie möglich beantwortet, aber es wäre gut gewesen, wenn sie auch mit Marianne Ekstedt hätten sprechen und sie fragen können, ob es ihr gutging. Im Grunde jedoch schien sich niemand ernsthaft Sorgen um sie zu machen. Im Gegenteil, alle behaupteten, sie würde sich vor ihren Seminaren immer so verhalten. Ihr Ehemann hatte betont, wie anstrengend ihre Kurse seien. Doch was, wenn er selbst sie aus irgendwelchen Gründen loswerden wollte? Der Zeitpunkt wäre jedenfalls günstig gewesen, denn sie würde eine ganze Woche lang von keinem vermisst werden. Eigentlich hatten sie sich mit Mariannes Vorgeschichte überhauptnicht beschäftigt. Folke wollte sichergehen, dass ihre Vergangenheit
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