Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Quecksilberthermometer. Neununddreißig drei. Mit anderen Worten: Bettruhe.
Ihr Handy hatte sich ausgeschaltet. Das erklärte, warum sie nicht aufgewacht war. Sie brauchte unbedingt einen richtigen Wecker und ein neues Mobiltelefon. Drei Mal musste sie es einschalten und ihre PIN eingeben, bis sich das Ding dazu herabließ, eine Weile zu laufen.
Sie rief Robban an und musste feststellen, dass sie kaum sprechen konnte.
»Jetzt geht es los«, sagte er entsetzt. »Erkältungen und Grippe, und pünktlich zu Weihnachten kommen dann die Magen-Darm-Infekte.«
»Du hättest ruhig ein bisschen Mitleid äußern und mir Mut zusprechen können«, erwiderte Karin, »bevor du mir wieder von kranken Kindern und Zeichentrickfilmen erzählst, die du auswendig kennst.«
»Übrigens, Margareta hat dich zu erreichen versucht. Sie hat vor einer Stunde angerufen, aber dein Handy war abgeschaltet.«
Karin erklärte ihm, dass ihr Telefon ein Eigenleben führte und dass sie es besser im Auge behalten würde, bis sie sich ein neues zugelegt habe.
»Folke hat Lycke angerufen und sie gebeten, hierherzukommen und eine Erklärung abzugeben.«
»Ich weiß«, krächzte Karin mit letzter Kraft. »Dabei hatte ich ihm doch gesagt, dass ich schon mit ihr gesprochen habe«, fügte sie irritiert hinzu, konnte sich aber nicht aufraffen, eine große Sache daraus zu machen.
»Ich verstehe ja, dass es seltsam für dich ist, weil ihr befreundet seid, aber genau deshalb ist es vielleicht besser, wenn wir uns mit ihr unterhalten. Ich werde dabei sein. Eigentlich wollte ich dir von zwei anderen Dingen erzählen, auf die Folke gekommen ist.«
Karin räusperte sich, um ihm zu zeigen, dass sie noch zuhörte.
»Bist du noch da, Karin?«
»Ja, ja.« Mehr bekam sie nicht heraus. In Bezug auf Lycke hatte Robban natürlich recht, tief im Innern wusste sie das.
»Marianne Ekstedt ist in einen alten Fall aus dem Jahr 1965 verwickelt. Ihre Großeltern wohnten im Haus von Frau Wilson, sind aber an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Was sagst du dazu?«
»Wenn Marianne kommt, müsst ihr sie darauf ansprechen. Es tut mir leid, Robban, aber es geht mir wirklich nicht gut.«
Karin bekam einen Hustenanfall und schnäuzte sich kräftig, bevor sie sich den Hörer wieder ans Ohr hielt.
»Angenehm«, sagte Robban. »Schönes Geräusch.«
»Hat sich auch gut angefühlt, musst du wissen. Komm zum Punkt, Robban. Das war die eine Sache, auf die Folke gekommen ist. Und die zweite?«
»Entschuldige. Seit wir bei Hektor waren, diesem IT-Typen in Lindome, nutzt Folke das Internet.«
»Und?«
»Im Hals von Hjördis Hedlund wurden doch Stoffstreifen gefunden, an denen sie nach Ansicht des Arztes erstickt ist.«
»Ja?«
»Folke hat im Netz etwas über die Hexenprozesse gefunden. Es war üblich, das mit Hexen zu machen.«
»Mit ihnen was zu machen?«
»Man hat sie gezwungen, Wasser mit Stoffstücken darin zu trinken. Ich weiß nicht, ob man sie auf diese Weise umbringen wollte oder ob es sich um eine Foltermethode handelte, aber im Zusammenhang mit den Hexenprozessen war es jedenfalls nicht unüblich.«
Schon wieder Hexen?, dachte Karin. Laut sagte sie: »Das musst du mir erklären.«
»Sekunde.« Robban verschwand. Karin hörte Papier rascheln, dann begann er vorzulesen.
»›Folter war ein gängiger Bestandteil von Hexenprozessen. Viele Geständnisse wurden Frauen abgepresst, die sich vor Schlafmangel und Erschöpfung nur noch den Schmerzen entziehen wollten. Eine grausame Foltermethode bestand darin, den Angeklagten Wasser einzuflößen und sie zu zwingen, Stoffstücke zu verschlucken. Atmen war da fast nicht möglich. Laut den Berichten sollen während dieser sogenannten Verhöre mehrere Personen ums Leben gekommen sein.‹ Hallo, bist du noch da, Karin?«
»Ja, ich habe nur so Halsschmerzen. Reden fällt mir schwer.«
»Je intensiver man sich mit diesen Hexenprozessen beschäftigt, desto grässlicher wird es. Wenn du irgendwie ins Internet kommst und deine Mails liest, schicke ich dir alles. Schaffst du das?«
»Ehrlich gesagt, muss ich mich wohl erst mal ausruhen. Ich habe ein Mittel genommen, das bald wirken müsste. Vorausgesetzt, dieses bescheuerte Handy funktioniert, werde ich mir alles angucken.«
Sie ließ sich ermattet auf eine der gepolsterten Sitzbänke sinken, stopfte sich ein zusätzliches Kissen hinter den Rücken und wickelte sich in ihre Daunendecke.
Wieder klingelte das Telefon. Mühsam öffnete sie die Augen und sah nach, wer es war.
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