Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
könnte.
»Normalerweise fahre ich einen Mercedes.« Er legte den ersten Gang ein, und sie ließen den Marstrander Fähranleger und die Bushaltestelle hinter sich.
»Mein Auto hat mich gestern in Göteborg im Stich gelassen. Dir ist nicht zufällig etwas Ähnliches passiert?«
»Nein, mein Wagen ist zur Inspektion und wird gründlich gereinigt.« Er schaltete in den vierten Gang. Das Getriebe protestierte gegen die unsanfte Behandlung. »Mittlerweise sollte Automatik Standard sein«, brummte er. Dann wandte er sich in etwas scherzhafterem Ton an Lycke: »Meine Patienten erwarten von mir, dass ich in einem sauberen und schönen Mercedes komme.«
Ich nicht, dachte Lycke. Für meinen Geschmack dürfen Ärzte auch auf einem rostigen Fahrrad angeradelt kommen, solange sie freundlich und kompetent sind. Sie fragte sich, was Doktor Wester in einem Pick-up machte, wenn schicke Autos ihm so viel bedeuteten.
»Willst du verreisen?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
Kristian warf einen Blick auf den Koffer.
»Ach ja«, antwortete er zerstreut. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. »Das mit Asko ist furchtbar. Wie kommt die Polizei denn voran? Du kennst doch diese Kommissarin Karin Adler.«
Lycke dachte an das Gespräch, das sie am Vorabend mit Karin geführt hatte.
»Stimmt. Sie hat mich gestern Abend besucht.«
»Ach, und wieso?«, fragte Kristian.
»Es hat sich herausgestellt, dass sich auf der Weinflasche aus Askos Haus im Rosenlund nicht nur die Fingerabdrücke von Asko und dem Opfer befanden, sondern auch meine.«
»Deine? Wie ist das möglich?«
»Das frage ich mich auch. Die Polizei natürlich auch. Ich muss da später noch hin.«
»Aber du bist doch nicht ins polizeiliche Register eingetragen.«
»Nein, oder doch. Das ist eine andere Geschichte.« Lycke hatte keine Lust, zu erklären, dass Jerker ihr das Programm erklärt und in diesem Zusammenhang ihre Fingerabdrücke eingegeben hatte.
»Glaubst du, dass Asko etwas mit der Sache zu tun hat?«, fragte Kristian.
»Asko? Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.«
»Das ist alles so erschütternd. Man glaubt, jemanden zu kennen, und dann kommen plötzlich Dinge ans Licht, die alles über den Haufen werfen.«
»So was habe ich noch nicht erlebt. Ich arbeite seit Jahren mit Asko zusammen. Er hat nichts damit zu tun.«
»Nein, natürlich nicht. Asko und ich stehen uns fast so nah wie Brüder.« Er schüttelte lächelnd den Kopf und schien sich in Erinnerungen zu verlieren.
»Seht ihr euch oft?«
»Mal so, mal so, das hängt vor allem von Marianne ab. Sie kann ein wenig dominant sein, auch wenn sie es gut meint. Wenn sie ihre Seelenreisen antritt und mehr oder weniger vergisst, sich bei ihren Mitmenschen zu melden, müssen alle hinter ihr stehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber wie gesagt, Asko und ich stehen uns sehr nahe. Wir sind sogar Blutsbrüder.«
»Das ist wahrscheinlich ein bisschen so, wie wenn man verheiratet ist. Man muss ja alle Entscheidungen zu zweit fällen und eine gemeinsame Basis finden. Dafür sind Kompromisse nötig.« Erst hinterher fiel ihr ein, dass Kristian vielleicht gar nicht verheiratet war und ihre Bemerkung möglicherweise als Beleidigung auffasste. Gab es denn überhaupt keine neutralen Gesprächsthemen? Sie sah aus dem Fenster und betrachtete die kahlen Äste an den Bäumen vor der Kirche in Hålta und die dick eingepacktenSchafe. Das gefrorene Gras muss sich an den Zähnen eisig anfühlen, dachte sie.
»Das sieht kalt aus.« Sie zeigte auf die Schafe. Dann wurde es wieder still im Auto.
Als Karin aufwachte, fühlte sie sich richtig elend. Es war schon nach neun. Sie hatte Halsschmerzen, und das Schlucken tat weh. Der Heizofen war über Nacht an gewesen, aber sie fröstelte trotz der zweiundzwanzig Grad, die das Thermometer anzeigte.
Die Scheiben waren mit Raureif bedeckt, und das Außenthermometer hatte als nächtliche Tiefsttemperatur zwei Grad minus verzeichnet. Nun schwankte die Anzeige zwischen null und einem Grad minus. Karin ging auf die Toilette und nahm die Schiffsapotheke aus dem Teakregal. Zum Glück fand sie eine Packung fiebersenkende Schmerztabletten, und schließlich gelang es ihr mit verzerrtem Gesicht auch, zwei davon zu schlucken. Sie blieb auf dem Klo sitzen, bis das Schwindelgefühl nachließ. Eigentlich hätte sie Fieber messen müssen, bevor sie die Tabletten nahm. Sie wühlte ein bisschen in dem Karton mit der Medizin und fand schließlich ihr altes
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