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Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman

Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman

Titel: Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Rosman
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hatte.
    Sie musste eine Arbeit und vielleicht einen Ort finden, wo sie etwas länger bleiben konnte. Falls Kapitän Wikström noch da war, konnte er ihr vielleicht einen Rat geben. Sollte sie es wagen, Großmutters Robbenfellkoffer im Zimmer zu lassen, oder sollte sie ihr Gepäck mitnehmen? Nachdem sie eine Weile gegrübelt hatte, steckte sie ihre Geldbörse ein und ließ den Rest dort. Entschlossen ging sie die Treppe hinunter. Obwohl ein kalter Nieselregen fiel, herrschte auf dem Kai Betrieb. Agnes bibberte. Stimmengewirr in mehreren Sprachen. Erstaunt, diese Sprache hier so häufig zu hören, erkannte sie Französisch, außerdem Holländisch, Deutsch und etwas, das sie für Englisch hielt, aber sicher war sie sich nicht. Überall waren Fischer, Frauen und Männer in farblosen Kleidern. Die schmutzigen Schürzen der Frauen waren voller Fischschuppen. Drei verrotzte Kinder, alle unter fünf, hingen der Frau am nächsten Fischstand am Rockzipfel. Sie starrten Agnes erschrocken an. Ein zahnloser Mann mit schwarzer Gesichtsfarbe und krummem Rücken schleppte einen Sack von einem der Schiffe herunter, die von weither gekommen waren. Wie betäubtbeobachtete Agnes die Menschen. Die Schlachter mit den lebenden Hühnern und den Schweinehälften. Die arme Lokalbevölkerung, die Fisch verkaufte, die Bauern, die ihre Waren gleich neben den Fischern feilboten. Die hohen Gewinne, die man mit dem Heringsfang erzielte, landete jedoch nicht bei denjenigen, die das Geld am dringendsten benötigten. Auf Näverkärr hatte sie eine solche Armut wie in den Augen dieser Kinder nie gesehen. Und mitten in diesem Durcheinander stolzierten elegante Herren mit Mänteln und Hüten ausländischer Fasson herum und schienen die hungrigen Kinder und die ärmlich gekleideten Frauen der Fischer gar nicht zu bemerken. Eine Frau, die vor lauter Puder ganz grau im Gesicht war und ein schwarzes Schönheitspflaster auf der Wange trug, musterte sie von Kopf bis Fuß. Ihr Kleid war purpurrot, und sie roch stark nach Parfüm. Als sie an einem Stand einkaufte, der ein Stück entfernt lag, war deutlich das Klimpern von Münzen in ihrem Geldbeutel zu hören. Agnes fragte sich, was sie wohl kaufte und wer sie war. Der Duft von Parfüm wurde durch einen ganz anderen überlagert, als zwei junge Männer einen stinkenden Latrineneimer an ihr vorbeitrugen. Einer von beiden humpelte in beunruhigender Weise, und es sah aus, als könne ihm jeden Augenblick der Henkel aus der Hand rutschen.
    Auf der linken Seite spielten einige Kinder hinter einem hohen Zaun in einem Küchengarten. Ein kleiner Junge kletterte auf einen Baum und begann, seine Spielkameraden mit roten Äpfeln zu bewerfen. Eine schwarzhaarige Dame mit einem Hausmädchen im Schlepptau spazierte an einem Stand vorbei. Sie zeigte auf bestimmte Waren, und das Hausmädchen kaufte auf ihre Anweisung ein und packte die Lebensmittel in ihren Korb. Die Dame hatte inzwischen den hohen Zaun erreicht, hinter dem sich die Kinder befanden. Das Hausmädchenholte sie gerade noch rechtzeitig ein, um ihr die Pforte aufzuhalten. Die Dame raffte ihr Kleid und stieg die beiden Treppenstufen hinauf. Sofort erblickte sie den Jungen in der Baumkrone und schimpfte mit ihm. Die anderen Kinder sahen schweigend zu. Kurz wurde auch das Dienstmädchen gescholten, das die Kinder beaufsichtigen sollte. Der Junge kletterte vom Apfelbaum herunter, und Agnes sah ihn mit gesenktem Kopf im Haus verschwinden. Ein Mann mit schwarzem Bart und langen krausen Koteletten guckte aus der Tür, hinter der soeben der Junge verschwunden war. Die Kippa auf seinem Kopf und der Gebetsmantel, den er sich um die Schultern gelegt hatte, verrieten seine Religionszugehörigkeit.
    Agnes wandte sich dem Wasser zu und betrachtete die Schiffe, die sich bereit zum Anlegen oder Lossegeln machten. Überall waren Seeleute zu sehen. Sie umklammerte ihre Geldbörse noch fester. Das war alles, was sie hatte. Ohne diese Reserve wäre sie verloren gewesen. Es wurde die Ladung von Schiffen gelöscht, deren Flaggen sie noch nie gesehen hatte. In den Läden längs des Kais war der Handel nun in vollem Gange, und an den Fischständen versuchten die Frauen, einander zu übertönen. Agnes eilte zu der Stelle, wo sie am Abend zuvor festgemacht hatten, doch es war vergeblich. Kapitän Wikström hatte abgelegt. Jetzt spürte sie, wie sehr sie gehofft hatte, er wäre noch da. Sie hätte jemanden gebraucht, mit dem sie sich beratschlagen konnte.
    Einen Großteil des Tages verbrachte

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