Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Nimm es als Erfolg, dass du es überhaupt zur Arbeit geschafft hast.«
»Der Psychologe hat gesagt, ich soll mir etwas suchen, das mir Spaß macht. Mir fällt nur nichts ein.«
»Gibt es denn nichts, was du gern tun würdest?«
Sara dachte einen Augenblick nach. »Vieles, aber ich traue mich nicht. Ich traue mich ja gerade erst wieder aus dem Haus. Zum Laden gehen und Milch kaufen – welch ein Glück. Wie sich das anhört. Ich bin stolz, dass ich Milch gekauft habe.« Sara trocknete sich die Tränen.
»Wenn du willst, können Linus und Linnéa eine Weile hier spielen. Dann hast du ein bisschen Ruhe.«
»Sicher?«
»Ganz sicher. Wir freuen uns.«
»Das ist wahnsinnig nett von dir. Dann mache ich vielleicht ganz allein einen Spaziergang zum Engelsmannen.«
Sara lächelte matt, bedankte sich für den Kaffee, schüttelte den Kopf über die vielen Interessenten nebenan und verschwand in ihrem Haus. Linus und Linnéa spielten mit Walter. Lycke betrachtete die Kinder, die glücklich durch den Garten rannten und sich schließlich in die Sandkiste setzten, eine alte Jolle aus Kunststoff, die Martin und Lycke in den Rasen eingegraben hatten.
Sara bog vom Fyrmästargången ab, spazierte die Idrottsgatan hinauf und versuchte, das mittlerweile vertraute Angstgefühl abzuschütteln. All diese Grübeleien, die sie fest im Griff hatten. Sie brauchte nur die Anzeigen durchzublättern und zufällig einen Blick auf die Geburts- und Todesanzeigen zu werfen. Die Gedanken gaben keine Ruhe und rissen sie mit in endlose Strudel.
»Der gesamte Friedhof ist voller unersetzbarer Menschen«, hatte einmal ein Kollege während der Kaffeepause gesagt. Die anderen hatten gelacht, aber bei Sara hatte die Bemerkung eine Panikattacke ausgelöst. In solchen Momenten merkte sie, wie verletzlich sie noch war.
Mehrmals hatte sie versucht, mit Tomas zu sprechen, aber der hatte eine andere Vorstellung vom Leben und vor allem vom Tod. »Das wird schon«, oder »Darauf haben wir sowieso keinen Einfluss.« Oft beneidete sie ihn um diese Einstellung.
Sara ging etwas schneller auf den Engelsmannen zu, die nordwestliche Spitze von Koön. Sie stellte sich immer auf den höchsten Punkt und blickte in die Ferne. Zuerst vergewisserte sie sich, dass sie allein war, damit sie ganz in Ruhe dort stehen konnte, ohne gestört oder beobachtet zu werden.
Sie ging ganz bis nach vorn an die Steilküste und blickte hinunter auf das rauschende Meer. Das Wasser lockte mit einem einfachen Weg. Ohne Rückfahrkarte. In ihrer schwersten Phase war sie in Versuchung gewesen, doch inzwischen dachte sie an die Kinder und wusste, dass es keine Alternative gab. Sie erzog sie dazu, es immer wieder zu versuchen und niemals aufzugeben. Da durfte sie selbst ihnen nicht nachstehen. Sie trat einen Schritt zurück, sah wieder auf das gewaltige Naturschauspiel und füllte ihre Lungen mit der salzigen Meeresluft.
Dann drehte sie sich um und ging zurück. Der Blick war klarer, und die Luft ließ sich etwas leichter atmen. Die Sonne kam durch und beschien den Weg, auf dem sie ging. Durch den kleinen Nadelwald von Koön wanderte sie zurück in die Siedlung.
Åkerström, Trollhättan, Herbst 1958
Als es an der Haustür klopfte, kauerte sich der Junge auf der Küchenbank zusammen. Unruhig wanderte sein Blick zu Birger, der aufstand, um die Tür zu öffnen. Birger entging das nicht.
»Sieh mal an, Kerstin. Guten Tag. Du bist aber früh auf den Beinen. Kerstin ist da, Aina.« Er machte keine Anstalten, sie hereinzulassen.
Die Frau auf der Treppe rang die Hände.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Birger. »Brauchst du Eier, Milch?«
»Äh, nun, wir haben Besuch, und die hatten ein Kind dabei. Einen kleinen Jungen.«
»Ach. Besuch, tatsächlich. Jemand, den wir kennen?«
Die Frau räusperte sich.
»Nein, das glaube ich nicht. Jedenfalls hatten sie einen kleinen Jungen dabei, und als wir heute Morgen aufgewacht sind, war er nicht mehr da. Sie machen sich schreckliche Sorgen, und ich wollte fragen, ob ihr ihn vielleicht gesehen habt.«
»Warum sind sie denn nicht mitgekommen, wenn sie sich solche Sorgen machen?«
»Sie haben Angst, dass er ins Wasser gefallen ist, und suchen ihn unten am Fluss. Wir haben uns aufgeteilt. Der Junge ist etwas zurückgeblieben, wisst ihr, deshalb sind wir besonders besorgt. Er lebt in einer Phantasiewelt und denkt sich Sachen aus.«
»Ach, so ist das. Tja, wenn wir ihn finden, kommen wir vorbei.«
»Er ist hier«, rief Aina aus der
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